1349 - Lilians tödlicher Blumenzauber
das flache, freie Feld, in dem es keinen Schutz mehr gab und der Wind freie Bahn hatte.
Den merkte auch Carlotta. Im Wald war es doch angenehmer gewesen, aber der lag jetzt hinter ihr. Ebenso wie die seltsame Lilian, die nicht mehr zu sehen gewesen war.
Der Fahrtwind schnitt dem Vogelmädchen die Gedanken ab.
Tränen traten in ihre Augen, aber sie durfte nicht aufgeben. Sie freute sich nur darüber, dass die ersten Häuser näher rückten und sie bald zwischen ihnen herfahren konnte.
Nach etwa zehn Minuten Fahrt bog sie bereits in die Straße ein, in der sie wohnte. Sie fuhr auf die Haustür zu und rollte dabei über die Vorderseite des Grundstücks, dessen Gras braun und winterlich aussah, und mit einem Schleier aus Reif überzogen war.
Zitternd suchte sie nach dem Schlüssel. Maxines Wagen stand nicht vor und nicht in der Garage. Daher hatte sie das Tor nicht geschlossen, und so konnte Carlotta hineinschauen.
Sie fingerte nach dem Schlüssel und war froh, ihn endlich gefunden zu haben. So schnell wie möglich betrat sie das Haus. Die Einkäufe vergaß sie nicht.
Ein warmer Schwall erwischte Carlotta. Sie zerrte die Mütze von ihrem Kopf, zog die dicke Jacke aus und war froh, die Schuhe loszuwerden. Eines nahm sie sich vor. Bei einer derartigen Temperatur würde sie nicht mehr mit dem Rad fahren. Zumindest keine so langen Strecken.
***
Der Tee dampfte in der Kanne, die vier Tassen fasste. Carlotta wollte sich nicht mit einer Tasse zufrieden geben. Deshalb hatte sie eine ganze Kanne Tee zubereitet.
Sie war in ihr Zimmer gegangen und hatte es sich dort bequem gemacht. Inzwischen war die Kälte aus ihren Gliederns gewichen.
Eine wohlige Wärme umgab sie, und sie konnte auch endlich ihren Flügeln wieder die Freiheit geben, die sie brauchten.
Natürlich hatte sie auch die Blume nicht vergessen. Im Gegensatz zum Blütenkelch besaß sie einen nicht sehr langen Stängel.
Dennoch hatte Carlotta dieses kleine Kunstwerk der Natur in einen Topf mit Blumenerde eingepflanzt. Da auch Maxine Wells Blumen über alles liebte, besaß sie auch die dazugehörigen Dinge, um sie pflegen zu können. Dazu gehörten auch Töpfe der unterschiedlichsten Größen.
Carlotta saß in ihrem Sessel und hielt die Teetasse in der Hand, aus der sie hin und wieder einen Schluck trank. Der warme Strom, der in ihren Magen floss, war mehr als angenehm. Sie fühlte, dass sie immer mehr »auftaute« und gab sich dem eigenen Wohlgefühl hin. Es hätte perfekt sein können, wäre da nicht das Erlebnis im Wald gewesen, und dafür musste sie einfach nachdenken. Es fiel ihr nicht nur ein, wenn sie die Lilie betrachtete, nein, es wollte ihr auch so nicht aus dem Kopf. Den Namen hatte sie gehört. Nur wusste sie nicht, wer sich dahinter verbarg.
Lilian hatte wie ein Mensch ausgesehen, aber war sie auch ein echter Mensch?
Da kamen Carlotta schon Zweifel. Allein das Outfit der Fremden passte überhaupt nicht in diese eiskalte Jahreszeit. Das war völlig verkehrt. Sie hätte erfrieren müssen, aber sie war es nicht. Sie hatte sich völlig normal verhalten und auch so normal mit Carlotta gesprochen, als hätten sich die beiden bei strahlendem Sonnenschein getroffen.
Hinzu kam die Blume.
Für Carlotta war es mehr als seltsam, sie zu sehen und sie zu erleben. In der Kälte hätte sie eigentlich eingehen müssen. Starr vor Frost zerbrechen.
Nichts dergleichen war geschehen. Die Blütenblätter hatten sich nicht verändert. Sie waren weiterhin geschmeidig geblieben und so leicht wie eine Feder.
Es war nichts mehr normal. Einen Reim konnte sich Carlotta darauf nicht machen, doch sie stellte sich die Frage nach dem Grund, weshalb man ihr die Blume geschenkt hatte.
Einfach nur so, weil es Lilian Spaß gemacht hatte, in der Kälte herumzulaufen und Blumen zu verschenken?
Nein, diese Lösung war zu einfach, fand Carlotta. Hinter dieser Geste musste mehr stecken, davon ging sie aus. Da war einiges im Unklaren. Sie wusste nur nicht, ob sie es positiv oder negativ bewerten sollte.
Carlotta hatte die Blume nicht auf die Fensterbank gestellt, sondern auf einen kleinen Tisch. Dort hatte sie einen guten Platz gefunden und war auch nicht zu übersehen.
Trotzdem konnte sich Carlotta nicht so recht an dem Geschenk erfreuen. Sie saß weiterhin in ihrem Sessel und schaute immer wieder auf die Lilie. Weiß war sie. Weiß wie Schnee. Aber Lilian war nicht das Schneewittchen aus dem Märchen. Sie musste einen anderen Grund gehabt haben, die Blume zu verschenken.
Was
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