1349 - Lilians tödlicher Blumenzauber
waren, wo auch der Sarg auf einem kleinen Podest stand.
Wenn ein Mensch Geburtstag hatte, wurden Blumen gebracht und wenn er starb, ebenfalls. Das war auch hier der Fall. Man hatte den Sarg mit einem Kranz von Blumen umlegt, auch normale Kränze lagen schon bereit. Die Tote musste zu Lebzeiten sehr beliebt gewesen sein, wenn man davon ausging, wie viel Blumenschmuck dort lag.
Es war so still in diesem Raum. Der Tod schien alles Laute hinweggefegt zu haben. Maxine Wells hörte nur ihre eigenen Schritte, obwohl sie versuchte, sehr leise aufzutreten.
Ihr Gesicht war angespannt. Man konnte behaupten, dass es einer Maske glich. Den Blick hatte sie starr nach vorn gerichtet. Es gab auch nichts in der Nähe, was sie ablenkte.
Am Fußende des Sargs blieb sie stehen und schaute über ihn hinweg auf das große schlichte Holzkreuz an der Wand. Sie sprach ein stummes Gebet und senkte langsam ihren Blick dem Sarg entgegen.
Sie schaute auf die bleiche Gestalt. Von ihr war eigentlich nur der Kopf zu sehen. Das rötlich blonde Haar war sorgfältig gekämmt worden. Überhaupt sah Daisy Corner nicht aus wie eine Tote. Eher wie ein junges Mädchen, das eingeschlafen war und nur darauf wartete, erweckt zu werden. Wie es in der Geschichte von Dornröschen der Fall gewesen war.
Doch hier kam kein Prinz und küsste sie. Daisy blieb bewegungslos liegen, ohne dass etwas passierte.
Wieder drang Maxine die gesamte Tragweite dieses tragischen Vorgangs ins Bewusstsein, und sie stellte sich nur eine Frage: Warum?
Es war beinahe ein innerlicher Schrei. Eine Antwort erhielt sie nicht. Helfen konnte ihr auch niemand.
Noch einen letzten Blick wollte sie auf das starre Gesicht werfen.
Dazu verließ sie ihre Position und trat an die linke Seite des Sargs heran. Jetzt konnte sie das Gesicht besser sehen.
Plötzlich war alles anders. Ein scharfer Blick hatte ihr ausgereicht, um erkennen zu können, was da passiert war. Maxine hatte das Gefühl, die Welt um sie herum würde sich drehen.
Das konnte es nicht geben, aber es stimmte, die Augen spielten ihr keinen Streich.
An einigen Stellen war das Gesicht der jungen Toten aufgerissen.
Von unten her hatte es Druck bekommen, kleine Öffnungen geschaffen und aus diesen Öffnungen hervor war etwas gewachsen.
Kleine weiße Blüten!
***
Die Marktfrau, die sich dick vermummt hatte und immer versuchte, in der Wärme des alten Kohleofens zu stehen, lächelte ihre jugendliche Kundin an.
Carlotta deutete auf einige Fischstücke, die trotz der Kälte noch auf Eis lagen.
»Das ist Rotbarschfilet«, sagte die Marktfrau.
»Genau, den möchte ich kaufen.«
»Gut. Wie viel?«
»Drei Stücke.«
»Sofort.«
Eine von der Kälte rot gewordene Hand holte das Gewünschte vom Eis und legte es auf die Waage. Sie nickte und sagte den Preis.
»Gut.« Carlotta hielt das Portmonee schon in der Hand und zahlte mit passendem Geld, während die Frau den Fisch in eine kleine Plastikschale legte, die sie mit einem Deckel verschloss.
»Ich glaube, ich kenne dich.«
»Ja? Woher denn?«
»Du bist das Mädchen, das die Tierärztin Maxine Wells adoptiert hat – oder?«
Es war Carlotta nicht so recht, dass sie erkannt wurde, aber sie nickte.
»Und gefällt es dir bei Mrs. Wells?«
Carlotta nahm den Fisch entgegen. »Ja, sie ist toll. Man kann viel von ihr lernen.«
»Ha, ha, verstehe. Dann willst du später auch mal Tierärztin werden, denke ich mir.«
»So ist es.«
»Dann kann sich die gute Frau Doktor bestimmt nicht beschweren, wenn sie schon jetzt eine Nachfolgerin hat.«
»Wir werden sicherlich zusammen in der Praxis arbeiten.«
»Das ist natürlich noch besser. Und grüß die Frau Doktor bitte von mir.«
Carlotta nahm den Fisch entgegen. »Mach ich. Und vielen Dank.«
»Keine Ursache. Ich habe zu danken.«
Carlotta legte das Gekaufte in den Korb, den sie auf dem Gepäckträger des Rads befestigt hatte. Dann schob sie das Rad weiter, denn sie musste noch einige Besorgungen machen.
Maxine Wells kaufte gern auf dem Markt ein. Da sie jedoch beschäftigt war, hatte sie an diesem Tag ihre Ziehtochter Carlotta geschickt. Es war zudem ein Wetter, bei dem sie es riskieren konnte. Die Kälte hatte die Menschen dazu gezwungen, sich dick anzuziehen, und genau das hatte auch Carlotta getan, so war ihre körperliche Anomalie nicht zu sehen und unter der dicken Kleidung verborgen.
Es handelte sich um zwei Flügel!
Ja, Carlotta war durch Genmanipulation zu einem Vogelmädchen geworden. Sie war es, die sich den
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