1349 - Lilians tödlicher Blumenzauber
neuen Weg ein und kam auf das Vogelmädchen zu.
Carlotta tat nichts. Sie hatte nur das Gefühl, noch mehr einzufrieren, obwohl sie die Kälte kaum spürte, weil ihr etwas anderes unwahrscheinlich vorkam.
Die Frau war jetzt so nahe an sie herangekommen, dass sie auch die Kleidung erkannte.
Nur ein Kleid, nicht mehr!
Ja, die Person trug nur ein Kleid, das sehr lang war. Sie überwand mit einem großen Schritt den Rest des störenden Unterholzes und trat auf den Weg. Sie stellte sich vor Carlotta hin, sagte nichts und streckte ihr stattdessen beide Arme entgegen.
Die Hände hatte sie mit den Fingerspitzen gegeneinander gelegt.
Aus ihnen hervor ragte eine weiße Blume…
***
Die Tierärztin Maxine Wells stand auf der Stelle und glaubte, sich in einem falschen Film zu befinden. Was sie dort sah, war einfach unmöglich und musste eine Täuschung sein. Vielleicht hatte die Kälte in ihrem Gehirn etwas beschädigt und sie sah Dinge, die es in der Wirklichkeit nicht gab.
Sie schloss die Augen, rieb darüber hinweg, schaute erneut hin und sah, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Aus dem Gesicht des toten Mädchens wuchsen tatsächlich Blumen oder Blüten, die sich bereits geöffnet hatten.
Maxine war so durcheinander, dass es ihr nicht mal gelang, die Blumen zu identifizieren, sie sah nur die winzigen Blüten, deren Blätter sich zu den Seiten hin weggedreht hatten.
Was tun?
Nichts konnte sie tun. Sie stand nur da und schaute hin. In ihrem Kopf befand sich eine ungewöhnliche Leere, was sie sonst nicht kannte. Sie war eine Frau, die mit beiden Beinen mitten im Leben stand, aber sie hatte in den letzten Jahren auch lernen müssen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die man sich nicht so leicht erklären konnte. Seitdem sie Carlotta bei sich aufgenommen hatte, fühlte sie sich von diesen unheimlichen Vorgängen regelrecht verfolgt.
Allerdings hatte sie auch einen Mann kennen gelernt, der sich mit diesen Dingen beruflich beschäftigte. Der Mann hieß John Sinclair, nur wohnte er leider in London und nicht in Dundee wie sie.
Warum wuchsen aus der Haut des toten Mädchens die Blüten?
Die Frage brannte in ihrem Kopf, doch sie war nicht in der Lage, eine Antwort zu finden. Das hier ging nicht mit rechten Dingen zu.
Möglicherweise war es auch eine Folge ihres Tods, dem plötzlichen Ersticken, für das auch keine Erklärung vorhanden war.
Für Maxine Wells lief die Welt nicht mehr rund. Der Kreislauf war ins Stottern geraten, und sie überlegte fieberhaft, was sie jetzt unternehmen sollte.
Ob der Arbeiter draußen Bescheid wusste?
Bestimmt nicht, sonst hätte er sie vor dem Anblick gewarnt, der nicht mal schaurig aussah, aber schon mehr als ungewöhnlich war.
Denn dass aus dem Gesicht einer Toten kleine Blumen wuchsen, hatte sie auch noch nicht erlebt.
Es war nicht nur verrückt oder unfassbar, sondern auch unheimlich. Maxine brauchte keine Hellseherin zu sein, um zu wissen, dass dies womöglich erst nur ein Anfang war. Da konnte noch etwas auf sie zukommen, denn sie wollte diesen Fall nicht auf sich beruhen lassen, sondern Nachforschungen anstellen. Das war sie der Verstorbenen einfach schuldig.
Sie schaute zur Tür.
Dort bewegte sich nichts. Der Arbeiter blieb draußen, und so konnte Maxine tun und lassen, was sie wollte. Es gab sicherlich Menschen, die sich bei einem derartigen Anblick aus dem Staub gemacht hätten, doch dazu gehörte Maxine nicht.
Sie schritt jetzt um den Sarg herum. Dabei senkte sie den Kopf, um so nahe wie möglich an das Gesicht der Toten heranzukommen.
An der Stirn sah sie die meisten Blüten. Drei waren aus der Haut hervorgewachsen. Sie leuchteten in einem unschuldigen Weiß, doch Maxine ging davon aus, dass dieses Phänomen hier alles andere als unschuldig war. Es musste etwas dahinter stecken, das rational nicht zu erklären war.
An der linken Wange sah sie zwei Blüten. An der rechten war die Haut nur einmal aufgebrochen.
Die Lippen des Mädchens waren geschlossen, ebenso die Augen.
Wie eine Schlafende sah sie aus, und Maxine Wells stellte sich die Frage, was wirklich mit ihr los war.
War sie tot? Oder war sie…
Sie wollte die Frage nicht zu Ende denken. Carlotta als lebende Leiche, als Zombie, das konnte sich die Tierärztin nur schwerlich vorstellen, obwohl sie auch mit diesen Wesen schon Erfahrungen gesammelt hatte. Da brauchte sie nur an die Voodoo-Gräfin zu denken.
Ihre Sinne waren sensibilisiert worden. Sie nahm auch den Geruch in der Leichenhalle
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