1356 - Am Abgrund des Lebens
Angriff des Schwarzen Tods auf diese Klinik aussehen würde.«
Die Vorstellung sorgte für ein besonderes Gefühl bei mir. Ich hatte den Eindruck, für einen Moment in der Luft zu schweben und alles andere in meinem Umkreis zu vergessen. Wenn der Schwarze Tod angriff, würde er auch die Mittel besitzen, um dieses Haus zu zerstören. Und zwar nur das Haus, denn er würde sich dessen Insassen auf seine Seite holen. Dann kämen all die Mörder und Schänder frei und…
Bei dem Gedanken brach mir der Schweiß aus. Das war schon unmöglich, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen. Ein normaler Mensch konnte so weit nicht denken, und mich überkam ein Zittern.
Suko merkte es. Er lachte leise. »Wir werden allem einen Riegel vorschieben, John.«
»Ja, das hoffe ich. Aber die Vorstellungen, die mich plagen, sind so schlimm wie Albträume.«
»Kann ich nachvollziehen.«
Der vor uns gehende Arzt drehte sich um, weil er uns sprechen gehört hatte. Ich winkte ab. »Es ist alles in Ordnung, Doktor, keine Sorge.«
»Die habe ich auch nicht.« Er ging jetzt langsamer, damit wir ihn einholen konnten. »Nur wenn ich das in dieser Umgebung höre, kann ich nicht so recht daran glauben.« Er bewegte seine rechte Hand im Kreis. »In Ordnung, das ist etwas anderes. Hier muss man schon bei den kleinsten Dingen misstrauisch werden. Ich mache mir auch Sorgen um Boris Nolan, weil er nicht aufzutreiben ist.«
»Ist das ein Einzelfall gewesen?«, fragte Suko.
»Ja. Das habe ich hier noch nicht erlebt. Wenn jemand erkrankt, ist das okay, dafür kann niemand etwas, aber die geringste Abweichung von der Norm lässt das Misstrauen hochkeimen. Gerade an einer so sensiblen Städte wie dieser hier.«
Das konnten wir nachvollziehen und auch seine nächsten Worte.
»Es muss ja Menschen geben, die auch diese Arbeiten machen. Menschen, die nicht nur eine ungewöhnliche körperliche Stärke besitzen müssen, sondern auch eine seelische.«
»Gut gesagt. Schon allein die Umgebung kann einen Menschen trübsinnig werden lassen.«
»Genau, Mr. Sinclair. Aber was soll man machen? Die Lampen hier müssen geschützt sein. Ich kann keine Bilder an die Wände hängen. Sie würden zerstört werden.«
»Klar.«
Bis zur Tür hatten wir es nicht mehr weit. Einige Schritte noch, dann blieben wir stehen.
Auch jetzt hatte sich nichts verändert. Wir wussten, dass in den Zellen die grausamsten menschlichen Monster hockten, aber von ihnen war nichts zu hören gewesen.
Die Tür schaute ich mir genauer an. Man konnte auf verschiedene Weise Kontakt mit den Gefangenen aufnehmen. In der Tür gab es eine Schiebedurchreiche für das Essen und darüber ein Guckloch, deren Weitwinkelobjektiv einen Blick in die Zelle zuließ.
Dr. Turgis deutete auf den Spion. »Wollen Sie hineinschauen, Mr. Sinclair?«
»Ja.«
Dieser Moment war für mich zu einem spannenden Augenblick geworden. Den Grund konnte ich selbst nicht sagen, denn ich würde einen Gegner sehen, den wir besiegt hatten.
Möglicherweise baute sich meine Nervosität darauf auf, dass diese Szene völlig neu für mich sein würde. Van Akkeren gefangen zu sehen, das hatte ich mir immer gewünscht, damit waren auch meine Templer-Freunde sehr einverstanden, doch zwischen Theorie und Praxis gibt es immer einen Unterschied.
Das Guckloch war für mein Auge gut zu erreichen. Ich musste nur eine Lederklappe zur Seite drücken.
Dann schaute ich hinein.
Und ich sah van Akkeren!
***
Einige Sekunden lang schlug mein Herz schneller bei diesem Anblick. War das wirklich dieser van Akkeren, der uns so große Probleme bereitet hatte und auf dessen Konto zahlreiche Menschenleben gingen?
Das war kaum zu glauben, denn auf dem Bett hockte eine in sich zusammengefallene fast glatzköpfige Gestalt, die viel zu große Kleidung trug. Was sie anhatte, umhing wie ein Lappen den Körper.
Dazu gehörte eine graue lange Jacke und auch eine schlabberige Hose. An den Füßen trug er Filzpantoffeln, was mich zu einem Lächeln brachte. Ich hätte nie gedacht, ihn mal so zu sehen.
Im Schneidersitz hockte er auf seiner Bettpritsche, stierte aus großen Augen ins Leere und wiegte seinen Oberkörper dabei leicht von einer Seite zur anderen, als wäre er dabei, den Klängen einer Melodie zu lauschen, die nur er hörte.
Ich schaute mir auch das Mobiliar in der Zelle an. Es war am Boden befestigt. Da konnte nichts angehoben und weggetragen werden. Also gab es auch keine Schlagwaffen für ihn.
Ein Fenster. Klein, recht hoch liegend. Von
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