1356
Fuhrwerke mit Bohnen, Korn, Käse und Trockenfisch aus den Vorräten des Klosters beladen wurden. «Wir sind die Nachhut», erklärte Sir Reginald, «was gottverdammt überhaupt nichts heißt, weil wir zurzeit vor der Armee des Prinzen sind. Aber er ist dort oben auf dem Hügel.» Er deutete nach Norden, wo Thomas in dem schwachen Mondlicht den Umriss eines baumbestandenen, hohen Hügels ausmachen konnte. «Die Franzosen sind irgendwo dahinter, Gott weiß wo, aber weit weg sind sie jedenfalls nicht.»
«Werden wir gegen sie kämpfen?»
«Wer weiß. Ich vermute, dass der Prinz näher an die Gascogne herankommen will. Wir haben zu wenig zu essen. Wenn wir länger als ein paar Tage hierbleiben, ist die ganze Gegend kahl gefressen, aber wenn wir weiter nach Süden ziehen, könnten uns die verdammten Franzosen überholen. Sie marschieren schnell.» Das alles sagte er, während er an den Fuhrwerken entlangging, die von Bogenschützen beladen wurden. «Aber es ist eine verteufelte Aufgabe, hier wegzukommen. Die Franzosen sind ganz in der Nähe, und wir müssen die Fuhrwerke und Packpferde über den Fluss schaffen, ohne dass uns die Bastarde angreifen. Wir werden sehen, was der morgige Tag bringt. Ist das Wein?» Diese Frage hatte er einem Bogenschützen zugerufen, der ein Fass auf das Fuhrwerk hievte.
«Ja, Sir Reginald!»
«Wie viel gibt es davon?»
«Sechs solche Fässer.»
«Lasst bloß eure diebischen Finger davon!»
«Ja, Sir Reginald!»
«Sie werden es natürlich nicht lassen», sagte Sir Reginald zu Thomas, «aber wir brauchen den Wein für die Pferde.»
«Für die Pferde?»
«Es gibt kein Wasser auf dem Hügel; die armen Tiere haben Durst. Also geben wir ihnen stattdessen Wein. Davon sind sie morgens ein bisschen beduselt, aber wir kämpfen zu Fuß, also spielt das keine Rolle.» Er unterbrach sich unvermittelt. «Bei Gott, was für eine schöne Frau.» Thomas dachte, er spräche von Bertille, die mit Genevieve beisammenstand, aber dann runzelte Sir Reginald die Stirn. «Was ist mit ihrem Auge passiert?»
«Ein Priester des Kardinals wollte es ihr aushacken lassen.»
«Gütiger Gott! Es gibt ein paar wirklich üble Kerle in der Kirche. Und ausgerechnet er ist entsandt worden, um für einen Friedensvertrag zu sorgen?»
«Ich glaube, dem Papst wäre es lieber, wenn sich der Prinz ergibt», sagte Thomas.
«Ha! Ich hoffe, wir kämpfen.» Er sagte diese vier Worte sehr grimmig. «Und ich glaube, wir werden kämpfen, ich glaube, wir müssen es, ich glaube, sie werden uns zum Kampf zwingen, und ich glaube, wir werden gewinnen. Ich will miterleben, wie unsere Bogenschützen die Bastarde niedermähen.»
Und Thomas dachte an die Ahlspitze, die Sculleys Brustpanzer getroffen hatte. Die Pfeile wurden zu Hunderttausenden in England gemacht, aber wurden sie wirklich gut gemacht? Er hatte zu viele verformte Pfeilspitzen gesehen. Sir Reginald glaubte, dass es eine Schlacht geben würde.
Und der Stahl der Pfeilspitzen war schwach.
Der König konnte nicht schlafen.
Er hatte mit seinem ältesten Sohn, dem Dauphin, und seinem jüngsten, Philippe, zu Abend gegessen, und sie hatten den Spielmännern zugehört, die von alten, ruhmreichen Schlachten sangen, und der König wurde immer bedrückter, als er überdachte, was von ihm erwartet wurde. Nun, weil er allein sein und Zeit zum Nachdenken haben wollte, ging er in den ummauerten Obstgarten des schönen Steinhauses, das beschlagnahmt worden war, damit er darin Quartier beziehen konnte. Überall im Umkreis, in dem ganzen Dorf, dessen Namen er nicht kannte, glimmten die Lagerfeuer seiner Armee in der Dunkelheit. Er hörte das Lachen der Männer oder ihre freudigen Rufe, wenn ihnen die Würfel oder die Karten Glück gebracht hatten. Angeblich war Edward, der Prince of Wales, ein Spieler, aber wie würde er sein Blatt nun ausspielen? Und würde er Glück haben?
Der König ging zur Nordmauer des Obstgartens, wo er sich auf eine Bank stellte und über die Mauer den roten Schimmer der englischen Lagerfeuer erkennen konnte. Sie schienen sich über den Nachthimmel zu ziehen, aber die hellsten zeigten die Umrisse eines langen, hohen Hügels. Wie viele von ihnen waren wohl dort? Und waren sie überhaupt dort? Vielleicht hatten sie all die Feuer nur gemacht, um ihn glauben zu lassen, sie wären dort, während sie in Wahrheit mitsamt ihrem Raubgut nach Süden abgerückt waren. Und wenn sie noch da waren, sollte er dann gegen sie kämpfen? Es war seine Entscheidung, und er wusste
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