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1356

1356

Titel: 1356 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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treulose Comtesse de Labrouillade, war viel mehr als eine hübsche kleine Stute, sie war eine Schönheit. Sie konnte nicht älter als zwanzig Jahre sein und hatte ein liebliches Gesicht, ohne Narben oder Spuren von Krankheit, volle Lippen und tiefbraune Augen. Ihr schwarzes Haar war gelockt, ihre Augen waren groß, und trotz ihrer entsetzten Miene war sie so entzückend, dass Bruder Michael, der selbst erst zweiundzwanzig war, zu zittern begann. Noch niemals, ging es ihm durch den Kopf, hatte er eine so schöne Erscheinung gesehen, und dann atmete er tief ein, bekreuzigte sich und betete still darum, dass ihn die Heilige Jungfrau und Sankt Michael vor der Versuchung bewahrten. «Sie ist das Geld für das Schießpulver wert, würde ich sagen», sagte Sam gutgelaunt.
    Bruder Michael sah zu, als Bertilles Gemahl, der seinen Helm abgenommen hatte, unter dem sich fettiges graues Haar und ein feistes Gesicht zeigten, auf sie zuwatschelte. Der Gang mit der schweren Rüstung ließ den Comte kurzatmig werden. Er blieb ein paar Schritte vor dem Podest stehen und starrte auf das Kleid seiner Frau, auf dem in Brusthöhe das Wappen mit dem goldenen Falken prangte, das Symbol ihres besiegten Liebhabers. «Es scheint mir, Madame», sagte der Comte, «als ließe Euer Kleidergeschmack sehr zu wünschen übrig.»
    Die Comtesse fiel auf die Knie und reckte ihrem Mann die gefalteten Hände entgegen. Sie wollte etwas sagen, doch es kam nur ein ersticktes Wimmern aus ihrer Kehle. In den Tränen, die über ihre Wangen rollten, glitzerte der Abglanz der Fackeln. Bruder Michael rief sich ins Gedächtnis, dass sie eine Ehebrecherin war, eine Sünderin, eine Hure, die keine Gnade verdient hatte, und Sam warf einen Seitenblick auf den jungen Mönch und dachte, dass dieser Mönch eines Tages wegen einer Frau in Schwierigkeiten geraten würde.
    «Reißt ihr dieses Wappen ab», befahl der Comte, an zwei seiner Waffenknechte gewandt, und deutete auf seine Frau. Die Schritte der beiden Männer in ihren gepanzerten Stiefeln hallten über den Steinboden, und ihre Kettenhemden klirrten, als sie auf das Podest stiegen und die Comtesse packten. Sie versuchte sich zu wehren, schrie, doch dann gab sie ihren Widerstand auf, als ihr einer der Männer die Arme auf dem Rücken festhielt und der andere ein kurzes Messer aus dem Gürtel zog.
    Bruder Michael machte eine unwillkürliche Bewegung, als wollte er ihr helfen, doch Sam hielt ihn mit einer Hand zurück. «Sie ist die Frau des Comtes, Bruder», sagte der Bogenschütze leise, «was bedeutet, dass sie sein Eigentum ist. Er kann mit ihr machen, was immer er will, und wenn du dich einmischst, schlitzt er dir den Bauch auf.»
    «Ich wollte nicht …», fing Bruder Michael an, aber dann schwieg er lieber, als zu lügen, denn er hatte eingreifen wollen, oder jedenfalls Widerspruch einlegen, doch nun sah er bloß zu, als der Waffenknecht den kostbaren Stoff zerschnitt und an der Goldstickerei zerrte, sodass das geschnürte Oberteil des Kleides bis zur Taille aufriss, und der Waffenknecht schließlich das Stoffstück mit dem eingestickten Falken in der Hand hatte und es seinem Herrn vor die Füße warf. Die Comtesse, von dem zweiten Mann losgelassen, kauerte sich nieder und raffte ihr zerfetztes Kleid vor der Brust zusammen.
    «Villon!», befahl der Comte. «Sieh mich an!»
    Der Mann, den die beiden Soldaten
le Bâtards
festhielten, hob zögernd den Blick zu seinem Gegner. Er war jung, schön wie ein Habicht, und bis vor einer Stunde war er der Herrscher über diese Stadt, der Herr über sein Land und der Besitzer seiner Bauern gewesen. Er trug eine Rüstung mit Brustpanzer und Beinschienen, und ein Blutstreifen in seinem dunklen Haar zeigte, dass er gegen die Belagerer gekämpft hatte, doch jetzt war er in ihrer Hand und konnte nur zusehen, als der fette Comte umständlich sein Kettenhemd vor seinem Schritt hochzog. Niemand in der Halle rührte sich oder sprach ein Wort, alle beobachteten nur, wie der Comte Stahl und Leder wegzerrte, um dann, mit einem breiten Grinsen, auf den Falken zu pissen, der von dem Kleid seiner Frau abgerissen worden war. Er hatte eine wahre Ochsenblase, und der Urin plätscherte lange. Irgendwo in der Burg schrie ein Mann, und der Schrei hielt an und immer weiter an, bis er zur Erleichterung aller endlich erstarb.
    Der Comte war gleichzeitig fertig, dann streckte er die Hand zu seinem Schildknappen aus, der ihm ein kleines Messer mit einer bösartig geschwungenen Klinge übergab.

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