1356
«Siehst du das, Villon?» Der Comte hielt das Messer hoch, sodass die Klinge das Licht einfing. «Weißt du, was das ist?»
Villon, immer noch im Griff der beiden Waffenknechte, sagte nichts.
«Das ist für dich», sagte der Comte. «Sie», er richtete die Messerspitze auf seine Frau, «wird nach Labrouillade zurückkehren, und du kommst mit, aber erst, nachdem wir dich beschnitten haben.»
Die Männer in den grün-weißen Wappenröcken grinsten aus lauter Vorfreude. Das Messer mit der verrosteten Klinge und einem abgenutzten Holzgriff war ein Kastriermesser, mit dem Schafböcke oder Kälber oder die kleinen Jungen verschnitten wurden, die für die Chöre der großen Kirchen bestimmt waren. «Zieht ihn aus», befahl der Comte seinen Männern.
«Oh Gott», murmelte Bruder Michael.
«Dreht’s dir dabei den Magen um, Bruder?», fragte Sam.
«Er hat gut gekämpft», schaltete sich eine neue Stimme ein, und der Mönch sah, dass
le Bâtard
an den Rand des Podestes getreten war. «Er hat tapfer gekämpft und verdient es, wie ein Mann zu sterben.»
Einige Männer des Comtes legten ihre Hände an die Schwertgriffe, doch der Bischof winkte mit einer Handbewegung ab. «Er hat die Gesetze Gottes und der Menschheit gebrochen», erklärte der Bischof
le Bâtard
, «und damit kein Recht mehr auf Ritterlichkeit.»
«Es ist mein Streit», knurrte der Comte de Labrouillade
le Bâtard
an, «nicht Eurer.»
«Er ist mein Gefangener», sagte
le Bâtard
.
«Als wir Euch angeworben haben», sagte der Bischof, «wurde vereinbart, dass sämtliche Gefangenen dem Comte und mir gehören werden, ganz gleich, wer sie gemacht hat. Wollt Ihr das bestreiten?»
Le Bâtard
zögerte, doch es war offensichtlich, dass der Bischof die Wahrheit gesagt hatte. Der große Mann in der schwarzen Rüstung ließ seinen Blick durch die Halle schweifen, aber seine Männer waren gegenüber denen des Comtes und des Bischofs weit in der Unterzahl. «Dann bitte ich Euch», sagte er zu dem Bischof, «ihn wie einen Mann vor seinen Gott treten zu lassen.»
«Er ist ein Hurenbock und ein Sünder», sagte der Bischof, «also überlasse ich es dem Comte, mit ihm zu verfahren, wie er es wünscht. Und ich möchte Euch daran erinnern, dass Euer Entgelt davon abhängt, ob Ihr alle angemessenen Anordnungen unsererseits befolgt habt.»
«Das hier ist nicht angemessen», beharrte
le Bâtard
.
«Die Anordnung, Euch zurückzuhalten, ist angemessen», sagte der Bischof, «und diese Anordnung erteile ich Euch hiermit.»
Die Waffenknechte des Comtes stießen ihre Schilde auf den Boden, um ihr Einverständnis zu zeigen, und
le Bâtard
trat schulterzuckend zurück. Bruder Michael sah einen Waffenknecht das Kastriermesser nehmen und drängte sich hinaus auf die Treppe, wo er keuchend die raucherfüllte Luft einsog. Er wollte noch weiter weg, aber ein paar Männer des Comtes hatten in den Burgstallungen einen Ochsen entdeckt, und sie quälten das Tier, indem sie mit Speeren und Schwertern nach ihm stachen und ihm auswichen, wenn es sich zu seinen Angreifern umdrehte, und Bruder Michael wagte es nicht, mitten durch dieses bösartige Spiel auf dem Burghof zu laufen. Dann kam der erste Schrei aus der Halle hinter ihm.
Eine Hand berührte seine Schulter, und er fuhr herum, hob den schweren Pilgerstab, doch es war nur ein Priester, ein älterer Mann, der dem Mönch einen Schlauch Wein anbot. «Es scheint so», sagte der ältere Mann, «als würdest du nicht billigen, was der Comte tut.»
«Billigt Ihr es?»
Der Priester zuckte mit den Schultern. «Villon hat dem Comte die Frau weggenommen, was erwartet er? Unsere Kirche hat der Rache des Comtes ihren Segen erteilt, und zwar mit gutem Grund. Villon ist ein verabscheuenswürdiger Mann.»
«Labrouillade etwa nicht?» Bruder Michael war zu dem Schluss gekommen, dass er den fetten Comte mit seinem schmierigen Haar und den Hängebacken hasste.
«Ich bin sein Kaplan und sein Beichtvater», sagte der alte Priester, «also weiß ich, was für ein Mensch er ist.» Er hörte sich trostlos an. «Und du», fragte er den Mönch, «was bringt dich hierher?»
«Ich habe eine Nachricht für
le Bâtard
», sagte Bruder Michael.
«Was für eine Nachricht?»
Der englische Mönch schüttelte den Kopf. «Ich habe sie nicht gelesen.»
«Du solltest Nachrichten immer lesen», sagte der ältere Mann mit einem Lächeln.
«Sie ist versiegelt.»
«Dieses Problem löst ein heißes Messer.»
Bruder Michael runzelte die Stirn. «Mir wurde gesagt,
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