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1356

1356

Titel: 1356 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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von dem Gerüst und ging zu dem Tisch, wo er sich die Hände an einem Tuch abwischte. «Natürlich komme ich aus Italien! Wenn Ihr etwas gemalt haben wollt, fragt Ihr einen Italiener. Wenn Ihr etwas hingesudelt, hingeschmiert oder hingekleckst haben wollt, fragt Ihr einen Franzosen. Oder Ihr fragt diese beiden Esel», er deutete auf seine Gehilfen, «Schwachköpfe! Rühren immer mehr Gips hinein! Auch wenn sie Italiener sind, haben sie das Hirn von Franzosen. Nichts als Grütze zwischen den Ohren!» Er nahm eine Lederpeitsche in die Hand, als wollte er einem seiner Gehilfen eins überziehen, dann aber fiel er unvermittelt auf die Knie. Die beiden Gehilfen knieten sich auch hin, und dann sah Thomas, wer den Raum betreten hatte, riss sich die Mütze vom Kopf und kniete ebenfalls nieder.
    Der Heilige Vater war hereingekommen, begleitet von vier Kardinälen und einem Dutzend weiterer Priester. Papst Innozenz lächelte den Maler abwesend an, dann schaute er zu den neuen Fresken hinauf.
    Thomas hob den Kopf, um den Papst zu betrachten. Innozenz  VI ., seit nunmehr drei Jahren Papst, war ein alter Mann mit lichtem Haar, hagerem Antlitz und zitternden Händen. Er trug einen roten Umhang mit weißem Pelzbesatz und ging leicht gebeugt, als wäre sein Rückgrat verkrümmt. Er zog den rechten Fuß nach, seine Stimme aber war fest. «Du leistest gute Arbeit, mein Sohn», sagte er zu dem Italiener, «ausgezeichnete Arbeit! Wahrhaftig, diese Wolken sehen echter aus als echte Wolken!»
    «Alles zur Ehre Gottes», murmelte Giacomo, «und zu Eurem Ruhm, Heiliger Vater.»
    «Und für dein eigenes Ansehen, mein Sohn», sagte der Papst, dann hob er eine Hand zum flüchtigen Segen in Richtung der beiden Gehilfen. «Und bist du auch ein Maler, mein Sohn?», fragte er Thomas.
    «Ich bin Soldat, Heiliger Vater», sagte Thomas.
    «Von wo?»
    «Aus der Normandie, Heiliger Vater.»
    «Ah!» Innozenz war entzückt. «Hast du einen Namen, mein Sohn?»
    «Guillaume d’Evecque, Heiliger Vater.»
    Einer der Kardinäle, dessen rotes Gewand über dem dicken Bauch eines Vielfraßes gegürtet war, wandte den Blick unvermittelt von der Decke ab und sah aus, als wollte er Widerspruch einlegen. Dann aber sagte er nichts, starrte Thomas jedoch unheilvoll an. «Und sag mir, mein Sohn», Innozenz hatte nichts von der Reaktion des Kardinals bemerkt, «hast du den Engländern den Lehnseid geschworen?»
    «Nein, Heiliger Vater.»
    «So viele Normannen haben das getan! Aber das muss ich dir nicht erzählen. Ich weine um Frankreich! Zu viele sind umgekommen, und es ist an der Zeit, dass Frieden in der Christenheit einkehrt. Ich segne dich, Guillaume.» Er streckte die Hand aus, und Thomas stand auf, ging zu ihm, kniete erneut nieder und küsste den Fischerring, den der Papst über seinem bestickten Handschuh trug. «Du hast meinen Segen», sagte Innozenz und legte Thomas die Hand auf den bloßen Kopf, «und meine Gebete.»
    «Und ich werde für Euch beten, Heiliger Vater», sagte Thomas, der sich fragte, ob er der erste Exkommunizierte war, der je von einem Papst gesegnet worden war. «Ich werde um ein langes Leben für Euch beten», fügte er als höfliche Floskel hinzu.
    Die Hand auf seinem Kopf zitterte. «Ich bin ein alter Mann, mein Sohn», sagte der Papst, «und meine Ärzte erklären mir, ich hätte noch viele Jahre vor mir! Aber Ärzte lügen, nicht wahr?» Er lachte leise. «Vater Marchand sagt, sein
Calade
würde zeigen, dass ich noch ein langes Leben habe, aber da traue ich noch eher meinen Schwindlerärzten.»
    Thomas hielt den Atem an, mit einem Mal wurde ihm sein Herzschlag bewusst. Ein kühler Hauch schien durch den Raum zu streichen, dann zitterte die Hand des Papstes erneut, und Thomas begann wieder zu atmen. «
Calade
, Heiliger Vater?», fragte er.
    «Ein Vogel, der die Zukunft voraussagt», erklärte der Papst und nahm die Hand von Thomas’ Kopf. «Wir leben wahrhaftig in einem Zeitalter der Wunder, wenn Vögel die Gabe der Prophezeiung haben! Ist es nicht so, Vater Marchant?»
    Ein hochgewachsener Priester verbeugte sich vor dem Papst. «Eure Heiligkeit ist Wunder genug.»
    «Oh nein! Das Wunder befindet sich hier! In der Malerei! Sie ist exquisit. Ich gratuliere dir, mein Sohn», sagte der Papst, an Giacomo gewandt.
    Thomas warf einen verstohlenen Blick auf Vater Marchant. Er war ein schlanker Mann mit eher dunklem Teint und grünen Augen, bezwingenden Augen, beängstigenden Augen, die mit einem Mal direkt auf Thomas gerichtet waren, der

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