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sagte Thomas und hielt den Kopf gesenkt.
«Seht zu, dass dieses Bild wegkommt», sagte der Kardinal zu Giacomo, und dann ging er mit seinem grünäugigen Begleiter hinaus.
Der Italiener, immer noch kniend, atmete tief und hörbar aus. «Er hat Euch nicht gemocht.»
«Mag er überhaupt irgendjemanden?»
Giacomo stand auf und schrie seine Gehilfen an. «Der Putz wird hart, wenn sie ihn nicht ständig rühren!», erklärte er Thomas seinen Ärger. «Sie haben nur Grütze im Kopf. Es sind Mailänder, Ihr versteht? Also sind sie Dummköpfe. Aber Kardinal Bessières ist kein Dummkopf, und er wäre ein gefährlicher Feind, mein Freund.» Giacomo konnte davon nichts wissen, aber der Kardinal war längst Thomas’ Feind, wenn Bessières Thomas auch glücklicherweise noch nie zuvor gesehen und nicht die geringste Ahnung hatte, dass der Engländer überhaupt in Avignon war. Giacomo ging zu dem Tisch, auf dem seine Pigmente in kleinen Tontiegeln aufgereiht standen. «Und Kardinal Bessières», fuhr er fort, «macht sich Hoffnungen, der nächste Papst zu werden. Innozenz ist schwach, Bessières nicht. Wir haben vielleicht schon bald einen neuen Heiligen Vater.»
«Warum gefällt ihm dieses Gemälde nicht?», fragte Thomas und deutete auf die hintere Wand.
«Vielleicht, weil er Geschmack hat? Oder vielleicht, weil es aussieht, als hätte ein Hund es gemalt, der sich den Pinsel in den Hintern gesteckt hat?»
Thomas starrte das alte Bild an. Der Kardinal hatte wissen wollen, welche Geschichte es erzählte, doch weder Giacomo noch der grünäugige Priester hatten ihm antworten können, und er wollte das Gemälde unbedingt zerstören lassen, sodass auch kein anderer die Antwort finden konnte. Und das Bild erzählte eine Geschichte. Petrus übergab ein Schwert an einen Mönch im Schnee, und der Mönch musste einen Namen haben, aber wer war er? «Wisst Ihr wirklich nicht, was das Gemälde bedeutet?», fragte Thomas.
«Eine Legende?», sagte der Italiener leichthin.
«Aber welche Legende?»
«Petrus hatte ein Schwert», sagte Giacomo, «und ich vermute, dass er es hier der Kirche übergibt. Er hätte es lieber benutzen sollen, um dem Maler die Hand abzuhacken und uns vor dem Anblick dieser Schmiererei zu bewahren.»
«Aber normalerweise wird das Schwert im Garten Gethsemane dargestellt», sagte Thomas. Er hatte an vielen Kirchenwänden Gemälde von der Szene vor der Verhaftung Jesu gesehen, in der Petrus ein Schwert gezogen und einem Diener des Hohepriesters ein Ohr abgeschnitten hatte, doch er hatte noch nie gesehen, dass Petrus in einem Schneesturm abgebildet wurde.
«Also kannte der Holzkopf, der das gemalt hat, seine Bibel nicht», sagte Giacomo.
Doch auf Bildern hatte alles eine Bedeutung. Wenn ein Mann eine Säge hielt, war es Sankt Simon, denn Simon war bei seinem Martyrium in Stücke gesägt worden. Weintrauben sollten die Menschen an die Eucharistie erinnern, König David hatte eine Harfe, der heilige Thaddäus einen Knüppel, Sankt Georg stand vor einem Drachen, Sankt Denis wurde immer mit seinem eigenen abgeschlagenen Kopf in der Hand dargestellt; alles hatte eine Bedeutung, doch Thomas hatte keinerlei Vorstellung davon, was dieses alte Gemälde sagen wollte. «Sollten Maler nicht all diese Symbole kennen?»
«Was für Symbole?»
«Das Schwert, die Schlüssel, der Schnee, der Mann am Fenster!»
«Das Schwert ist das Petrusschwert, die Schlüssel sind die Schlüssel zum Himmel! Müsst Ihr noch lernen, wie man an der Mutterbrust saugt?»
«Und der Schnee?»
Giacomo sah mürrisch vor sich hin, offensichtlich behagte ihm diese Frage nicht. «Der Tölpel konnte eben kein Gras malen», entschied er schließlich, «also hat er einfach billige Kalkfarbe verschmiert! Es hat keine Bedeutung! Morgen schlagen wir es ab und malen etwas Schönes hin.»
Doch von wem auch immer die Szene gemalt worden war, er hatte sich die Mühe gemacht, die Stelle um den knienden Mann von Schnee freizuhalten, und er hatte das Gras recht gut gemalt, durchsetzt mit kleinen gelben und blauen Blumen. Also hatte der getaute Schnee doch eine Bedeutung, ebenso wie die Gegenwart des zweiten Mönchs, der furchtsam aus dem Fenster der Hütte herauslugte. «Habt Ihr Zeichenkohle?», fragte Thomas.
«Natürlich habe ich Zeichenkohle!» Giacomo deutete auf den Tisch mit den Pigmenten.
Thomas ging zur Tür und sah hinaus in die große Audienzhalle. Von Kardinal Bessières oder dem grünäugigen Priester war nichts zu sehen; dann nahm er ein Stück
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