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1356

1356

Titel: 1356 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Verstand verloren», sagte sie und nickte. «Es heißt, die englischen Teufel hätten halb Frankreich niedergebrannt. Wo ist der König?»
    «Wenn die Engländer kommen», sagte Fra Ferdinand, «oder sonst irgendjemand, dann sagt ihnen, dass ich nach Süden gegangen bin.»
    «Ihr geht weg?»
    «Ich bin hier nicht sicher. Vielleicht komme ich wieder, wenn dieser ganze Irrsinn vorbei ist, aber jetzt gehe ich in die hohen Berge bei Spanien. Dort werde ich mich verstecken.»
    «In Spanien! Dort haben sie Teufel!»
    «Ich werde in die Berge gehen», versicherte ihr Fra Ferdinand, «ganz nah zu den Engeln.» Und am nächsten Morgen ging er nach Süden, und erst als er schon eine ganze Weile außer Sichtweite des Dorfes war und sich davon überzeugt hatte, dass er nicht beobachtet wurde, wandte er sich nordwärts. Er hatte eine lange Reise vor sich und einen Schatz zu behüten.
    Er würde
La Malice
ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben. Er würde ins Poitou gehen.
     
    Ein kleiner Mann mit dunkelbrauner Haut und einem weiß besprenkelten schwarzen Schopf hockte auf einem hohen Gerüst und trug mit einem Pinsel braune Pigmentfarbe auf die gewölbte Decke auf. Er sagte etwas in einer Sprache, die Thomas nicht verstand.
    «Sprecht Ihr Französisch?», fragte Thomas.
    «Wir müssen hier alle Französisch sprechen», sagte der Maler, der in diese Sprache gewechselt war, sie jedoch mit einem grauenhaften Akzent verunstaltete, «natürlich sprechen wir Französisch. Seid Ihr gekommen, um mir Ratschläge zu erteilen?»
    «Zu was?»
    «Zu dem Fresko natürlich, Ihr Narr. Gefällt Euch die Farbe der Wolken nicht? Sind die Oberschenkel der Jungfrau zu dick? Die Köpfe der Engel zu klein? Das haben sie mir gestern erklärt», er deutete mit seinem Pinsel auf die Decke, wo fliegende Engel zu Ehren der Jungfrau Trompete spielten. «Ihre Köpfe sind zu klein, behaupten sie, aber von wo aus haben sie die Engel angeschaut? Von der obersten Sprosse meiner Leiter! Vom Boden aus sind sie meisterhaft. Selbstverständlich sind sie meisterhaft. Schließlich bin ich derjenige, der sie gemalt hat. Und ich habe auch die Zehen der Jungfrau gemalt», er tupfte ärgerlich mit dem Pinsel Farbe auf die Decke, «und die gottverdammten Dominikaner haben mir erklärt, das wäre Ketzerei. Ketzerei! Die Zehen der Jungfrau zu zeigen! Lieber Jesus im Himmel, in Siena habe ich sie sogar mit entblößten Brüsten gemalt, aber dort hat mir keiner damit gedroht, mich auf den Scheiterhaufen zu werfen.» Er tupfte weiter mit dem Pinsel, dann lehnte er sich zurück. «Es tut mir leid,
ma chérie
», sagte er zu dem Bild der Jungfrau Maria über sich, «du darfst keine Brüste haben, und jetzt hast du auch noch deine Zehen verloren, aber sie werden wiederkommen.»
    «Werden sie das?», fragte Thomas.
    «Der Putz ist trocken», knurrte der Maler, als sei die Antwort selbstverständlich, «und wenn Ihr ein Fresko übermalt, wenn es trocken ist, dann blättert diese Farbe ab wie die Krätze von einer Hure. Es dauert ein paar Jahre, aber dann tauchen ihre ketzerischen Zehen wieder auf, allerdings wissen die Dominikaner das nicht, weil sie verdammte Esel sind.» Er wechselte in seine Muttersprache und brüllte auf Italienisch seine beiden Gehilfen an, die mit einem riesigen Stößel frischen Gips in ein Fass rührten. «Und das sind auch Esel», fügte er, an Thomas gewandt, hinzu.
    «Müsst Ihr auf feuchten Putz malen?», fragte Thomas.
    «Seid Ihr hierhergekommen, um Euch in Malerei unterrichten zu lassen? Dann müsst Ihr mich verdammt noch mal bezahlen. Wer seid Ihr?»
    «Mein Name ist d’Evecque», sagte Thomas. Er wollte sich in Avignon nicht mit seinem richtigen Namen zu erkennen geben. Er hatte zahlreiche Feinde in der Kirche, und Avignon war die Stadt des Papstes, was bedeutete, dass es hier vor Priestern, Klosterbrüdern und Predigermönchen wimmelte. Er war hierhergekommen, weil ihm diese unangenehme Frau in Mouthoumet versichert hatte, der geheimnisvolle Vater Calade wäre nach Avignon geritten. Inzwischen allerdings überkam Thomas langsam das Gefühl, dass er seine Zeit vergeudete. Er hatte ein Dutzend Priester gefragt, ob sie einen Vater Calade kannten, und keiner hatte etwas mit dem Namen anfangen können. Also hatte er sich noch ein wenig in der Stadt umgesehen, und schließlich hatte er, der von der Kirche Verstoßene, nicht widerstehen können, dem mächtigen Festungspalast des Papsttums einen Besuch abzustatten. Auch in Rom gab es einen Papst, denn

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