136 - Im Schloss der Daa'muren
Einfach so. Als wäre Ann ein x-beliebiges Kind. Doch das ist sie nicht.
»Sie ist meine Tochter«, sagte Matt leise vor sich hin und nickte versonnen. Die Worte hatten einen guten Klang. Meine Tochter.
Schlagartig verdunkelte sich der Eingang. Aruula hatte den EWAT erreicht, und wie immer hatte niemand sie kommen hören. Die schöne Barbarin trug ihr Schwert auf dem Rücken und ein großes geschnürtes Bündel im Arm – wärmende Pelze und Proviant.
Matt sah sie fragend an. »Canada?«
Aruula schüttelte den Kopf. »Was immer er gefressen hat, es war nicht gut, Maddrax! Wir lassen ihn besser hier!«
»Tja, das werden wir dann wohl müssen«, sagte Jenny mit seltsamer Betonung, während sie die Decke des EWATs musterte. Matt schwante Verdruss. Er wollte etwas sagen, doch Aruula kam ihm zuvor.
»Vielleicht will Wudan nur dein Kind beschützen!« Aruula ignorierte Jennys verdutzten Blick, trat näher und begann ihr Gepäck zu verstauen. »Hunde sind laut bei allem, was sie tun. Man hört sie, selbst wenn sie bloß atmen.«
»Und?«, fragte Jenny gereizt.
»Wir wissen nichts über die Karpaten.« Aruula schob den großen Bihänder unter eine Pritsche und band ihn mit Lederschnüren fest. »Nur dass es wilde Wälder sind.«
Die Barbarin sah auf – ruhig, gelassen, überlegen. Ihr Leben an Maddrax’ Seite hatte sie geprägt, ohne Zweifel, doch sie war noch immer eine Kriegerin vom Volk der Dreizehn Inseln und kannte sich aus mit der Jagd. »In wilden Wäldern tut man gut daran, leise zu sein. Besonders wenn man etwas sucht und genau weiß, dass man keine zweite Chance bekommt.«
»Schön. Aber meine Tochter befindet sich nicht in den Wäldern, sondern in einem Schloss.« Jenny strich ihre blonden Haare zurück. »Das ist ein Haus mit sehr vielen Zimmern. Die müssen wir dann wohl alle absuchen. Ein Hund wäre einfach Anns Witterung gefolgt.«
»Okay.« Matt seufzte, stand auf und nickte den beiden Frauen zu. »Dann sag ich mal dem Piloten Bescheid. Haben wir auch alles? Waffen? Proviant? Die richtige Einstellung?«
Es sollte ein Scherz sein. Nur ein harmloses Flachsen, um die Atmosphäre an Bord zu bereinigen. Matt konnte sich nicht erklären, warum Aruula und Jenny so kühl miteinander umgingen seit der Planung von Operation Annie. Sie hatten sich doch sonst immer gut verstanden! Dass die Frauen auch jetzt dazu in der Lage waren, zeigte sich an ihren Mienen: Sie verfinsterten sich simultan. Matt ging zügig aus dem Raum.
***
(Warum wurden die Primärrassenvertreter getötet, Grao’sil’aana?)
(Die Fortdauer ihrer Anwesenheit hätte ein unnötiges Risiko dargestellt.)
(Man hätte sie umsiedeln können, Grao'sil'aana.) (Zu welchem Zweck?)
(Damit sie weiter leben.)
(Du bist noch unerfahren! Primärrassenvertreter reagieren emotional. Wären sie evakuiert worden, hätten sie zu ihrem Wissen um unseren Aufenthaltsort auch ihren Zorn über den Verlust ihres Habitats mitgenommen. Dies hätte zu einer Beeinträchtigung deiner Sicherheit geführt.) (Töten wir jeden, der meine Sicherheit beeinträchtigt, Grao’sil’aana?)
(Das gebietet die Logik.)
***
Anns Welt
Sie hatte alles verloren: Canada, die Schaukel und selbst Johaan, das alte Buch. Jennymom war weg, Beelinn war weg.
Tilmo, Bulldogg und Miouu kamen höchstens im Traum vorbei. Und Tubal, die Frau mit den kalten Augen und dem Lederharnisch, hatte nicht mal Auf Wiedersehen gesagt. Sie hatte Ann mit dem Wagen zur Löcherburg gebracht und war danach verschwunden.
»Warum lachst du denn so?«, fragte Ann.
Jana hielt sich die Hand vor den Mund. »Du erzählst immer so komische Sachen!«, kicherte sie.
Die beiden Vierjährigen saßen auf einem Mauervorsprung, ließen ihre Beine baumeln und schmiedeten Fluchtpläne, wie so oft. Es war angenehm, den Wind auf der Haut zu spüren und in Gedanken mit ihm davon zu fliegen. Hinter den beiden Mädchen ragten die Türme und Wände einer alten, vom Zahn der Zeit zernagten Burganlage auf. Vor ihnen, nicht viel weiter als einen ordentlichen Steinwurf entfernt, begann der Wald.
Kapaatji nannte Jana diesen Teppich aus riesenhohen Bäumen, der das ganze Land bedeckte.
So weit konnte man gar nicht gucken, wie er sich ausbreitete! Ann hatte es neulich versucht, vom ersten Stock des Südturms aus. Dort hatte sie zwar nicht lange bleiben können, weil die beiden Schergen gleich angestapft kamen, um sie zu vertreiben. Doch die Zeit hatte gereicht, um festzustellen, dass überall aus dem Wald – in weiter Feme
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