1365 - Belials Lügenwelt
gab.
Ich musste nichts mehr tun und brauchte nur zu warten. Noch immer gab es von Belial keine Gegenwehr. Er erinnerte mich an einen Delinquenten, der auf seinen Tod wartete, aber trotzdem nicht aufgab, denn im letzten Moment versuchte er, Hilfe zu bekommen.
Wieder wuchtete er seinen Oberkörper zurück. Gleichzeitig streckte er die Arme aus. Es war sein letzter Versuch, die eigene Existenz zu retten.
Er selbst konnte nichts tun. Doch es gab jemand, der über ihm stand, eine Stufe höher als er.
Und dessen Namen schrie er voller Inbrunst.
»Luzifer…!«
Es war der berühmte Ruf wie Donnerhall, der auch mich schockte.
Ich hatte mit ihm, dem absolut Bösen, lange keinen Kontakt mehr gehabt. Ich wusste, wie unheilvoll mächtig er war. Er war die Dunkelheit, ich hielt mit dem Licht dagegen, aber ich wusste zugleich, dass dieses Licht nicht der Schöpfung gleichkam und das auch ihm leider Grenzen gesetzt worden waren.
Noch mal der Schrei!
»LUZIFER!!!«
Das Echo dröhnte in meinen Ohren, als wollte es meinen Kopf samt der Gedankenwelt zerstören. Ich erlebte in mir ein Chaos und blieb trotzdem auf meinem Platz.
Wie auch der Lügenengel, der seine Arme so hoch wie möglich gestreckt hatte und hoffte, in dieser flehenden Haltung von dem erhört zu werden, den er bereits seit Beginn der Zeiten kannte.
Und Luzifer ließ ihn nicht im Stich.
So stand ich mutterseelenallein gegen die Woge des Bösen und wusste mir nicht mehr zu helfen, da ich meinen letzten Trumpf bereits ausgespielt hatte…
***
Bruce malte nicht mehr!
Plötzlich zuckte seine Hand mit dem Kugelschreiber zurück, und er blieb in einer starren Haltung hocken. Kein Wort rann mehr aus seinem Mund. Er wirkte wie eine künstliche Gestalt.
Auf dem Balkon bewegte sich Justine Cavallo. Sie schien etwas bemerkt zu haben, denn als sie das Zimmer betrat, hatte ihr Gesicht einen gespannten Ausdruck angenommen.
Sie merkte, dass es jetzt störend war, wenn sie auch nur ein Wort sagte. In diesen Augenblicken kam es einzig und allein auf den Jungen an, der unter der Kontrolle einer fremden Macht stand und sich selbst nichts mehr befehlen konnte.
Die berühmte Salzsäule hätte nicht starrer sein können als er. Er hockte auf der vorderen Kante der Couch, hielte den Kugelschreiber fest und starrte auf seine Zeichnung.
In den letzten Minuten hatte er ein sehr düsteres Bild geschaffen.
Die zerstörten Steine, die halb zusammengebrochenen Häuser; aber er hatte dieses Bild nicht leer gelassen, sondern auch Menschen gemalt. Dabei war er mit ihnen nicht ganz fertig geworden, doch sie waren zu erkennen, denn es handelte sich um zwei Männer.
Einer von ihnen war aufgrund der längeren Haare deutlicher zu erkennen. Es handelte sich um Belial. Die zweite Person war noch neutral bemalt worden, aber Jane und Purdy brauchten nicht lange nachzudenken, um zu wissen, um wen es sich handelte.
Das konnte nur John Sinclair sein.
Er und Belial standen sich in einer Welt gegenüber, die zusammengesunken und dem Verfall preisgegeben war.
Justine Cavallo hatte den Tisch erreicht. Sie schaute verkehrt herum auf das Bild, strich ihre blonde Mähne zur Seite und fragte mit leiser Stimme: »Warum malt er nicht weiter?«
»Wir wissen es nicht«, erwiderte Jane leise.
»Dann fragt ihn!«
»Nein, nicht in seinem Zustand.«
»Gut, dann werde ich es…«
Plötzlich wurde Jane zu einer Furie. Aber sie riss sich trotzdem zusammen und schrie nicht, sondern zischte die Antwort der blonden Bestie ins Gesicht.
»Nichts, gar nichts wirst du tun! Hast du verstanden? Halte dich diesmal heraus!«
Die Cavallo war derartige Befehle nicht gewohnt. Wer so mit ihr sprach, der hatte nichts mehr in seinem Leben zu lachen, wenn sie gerade mal auf dem Bluttrip war.
In diesem Fall musste sie sich zusammenreißen. Sie schaute Jane Collins nur mit dem berühmten Ausdruck »Wenn-Blicke-töten-können« an und hielt sich tatsächlich zurück.
Jane Collins atmete auf. Jetzt war sie froh, dass sie in der Cavallo keinen normalen Vampir vor sich sah, sondern eine Unperson, die auch denken konnte.
»Er bewegt sich noch immer nicht«, flüsterte Purdy Prentiss. »Etwas muss ihn völlig aus der Bahn geworfen haben. Mir scheint, dass er sogar Angst vor seinem eigenen Bild hat.«
»Das ist möglich.«
»Aber was hat ihn so geschockt? Warum malt er nicht weiter?«
»Ich kann es dir nicht sagen.«
»Es muss mit dem Motiv zusammenhängen, Jane. Aber ich sehe es nicht als so schlimm
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