1370 - Amoklauf der Wissenden
gegeben haben, die mit den bestehenden Umständen unzufrieden waren. Sie waren bisher gezwungen gewesen, sich zurückzuhalten, denn die Esper konnten sie mit Leichtigkeit ausfindig machen, wenn sie sich in irgendeiner Weise gegen die Gesetze vergingen. Es waren durchaus nicht nur männliche Kartanin, die meinten, daß es möglich sein müsse, auch ohne Psi-Kräfte eine gehobene Position zu erreichen. Nicht jede weibliche Kartanin war eine Esperin. Und nicht jede Esperin war mit überragender Intelligenz gesegnet.
Die wirklich intelligenten Nicht-Esper waren zweifellos um den Bestand der kartanischen Zivilisation besorgt, aber das bedeutete nicht, daß sie etwas gegen Veränderungen einzuwenden hatten. Sie würden derartige Veränderungen langsam und mit Umsicht anstreben, denn bei den Kartanin hatten Disziplin und Gemeinschaftssinn einen sehr hohen Stellenwert.
Die weniger intelligenten Nicht-Esper dagegen waren ungeduldig, verwirrt und verunsichert. Manche Kartanin machten sich das zunutze, indem sie allerlei Gerüchte in die Welt setzten und die Massen in ihrem Sinn zu beeinflussen versuchten.
Bisher waren derartige Versuche an der Wachsamkeit der Esper gescheitert. Nun aber erlebten die verblüfften Kartanin, daß sie ganz ungestraft den abenteuerlichsten Ideen folgen konnten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Und damit geriet die Grundlage der kartanischen Disziplin ins Wanken.
Auf diese Weise zeigte sich, daß die Kartanin keineswegs mit einer speziellen Neigung zu diszipliniertem Verhalten geboren wurden.
Das Leben in Tozinkartan war in diesen Tagen hektisch. In der Stadt gärte es. Hier und da kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, zu Übergriffen gegenüber den so plötzlich ihrer Macht beraubten Esper, zu hysterischen Ausbrüchen von bisher unterdrückten Gefühlen von einfacher Angst vor der Zukunft bis hin zu blanker Zerstörungswut.
Die Esper - von denen es selbstverständlich noch immer etliche gab - bemühten sich verzweifelt, die alte Ordnung aufrechtzuerhalten, indem sie der Gewalt mit Gegengewalt begegneten. Ein untaugliches Mittel, das höchstens dazu geeignet war, die Gegensätze noch zu verschärfen.
Gucky wünschte sich, er hätte Sue-El-K'yon an Bord der SORONG gelassen. Natürlich hätte er sich mit der jungen Kartanin in das Raumschiff zurückteleportieren können, aber damit ließ sich leider nichts ungeschehen machen. Er hatte gewußt, daß es auf Kartan zur Zeit unruhig zuging, aber er hatte es sich nicht so schlimm vorgestellt. Die Meldungen, die sie im Raum empfangen hatten, hatten sich mit der ganzen Problematik in eher theoretischer Weise auseinandergesetzt.
Mit Theorie hatte das, was sich in To-Zinkartan zur Zeit abspielte, aber leider nicht viel zu tun, und der Pilot des Gleiters bemühte sich in keiner Weise, die Dinge zu beschönigen, indem er etwa in die ruhigeren Bereiche der Stadt ausgewichen wäre. Im Gegenteil: Er hatte offenbar Vergnügen daran, speziell Sue-El-K'yon zu schockieren. Und er erreichte sein Ziel. Der Mausbiber hatte nicht die Absicht, für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen. Er hatte Verständnis für die Esper, aber auch für die Nicht-Esper. Die Esper hatten unendlich viel für das Volk der Kartanin getan, und sie hatten dabei große Opfer gebracht.
Viele von ihnen hatten auf persönliche Freiheiten und Nachwuchs verzichtet, hatten ihr Leben völlig in den Dienst ihres Volkes gestellt. Nicht wenige hatten dabei ihre Gesundheit oder gar ihr Leben verloren. Es war durchaus nicht immer ein Vergnügen, eine kartanische Esperin zu sein. Es war ein Fehler gewesen, den Nicht-Espern gegenüber die Nachteile, die mit den Psi-Fähigkeiten verbunden waren, zu verschweigen, sie sogar ängstlich geheimzuhalten. Nur wenige Kartanin wußten, wie gefährlich es war, den Paratau zu hüten, und selbst unter den Espern gab es viele, die von explosiven Zellwucherungen und anderen todbringenden Nebenwirkungen dieser Tätigkeit nichts ahnten. Es war berechtigt, denen, die den Paratau bewachten, besondere Privilegien einzuräumen, und es war falsch, denen, die nur die positiven Wirkungen des Parataus kannten, nicht zu erklären, daß den Wächterinnen oft nur wenig Zeit blieb, die ihnen eingeräumten Privilegien zu genießen. Die Esper hatten den Fehler begangen, sich von der Macht ihrer Fähigkeiten blenden zu lassen. Der Paratau gab ihnen die Möglichkeit, vieles schneller, gründlicher und perfekter als ihre nicht psibegabten Artgenossen zu
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