1373 - Die vergessene Sage
dass ich mit Bildern schon ähnliche Erfahrungen gemacht habe.«
»Hört sich nicht schlecht an.« Glenda wechselte das Thema. »Was ist eigentlich mit Suko los? Hast du ihm Bescheid gegeben, dass du zu mir gefahren bist?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Willst du das noch?«
Ich winkte ab. »Bisher gibt es noch keinen Grund. Das ist jetzt eine Sache zwischen dir und mir.«
»Wie du meinst.«
Auch ich trank meine Tasse leer – es war mittlerweile schon die zweite – dann stand ich auf, und auch Glenda Perkins erhob sich von ihrem Platz.
Sie hakte sich bei mir ein, und ich wusste, dass ihr diese Berührung gut tat. So verließen wir das Wohnzimmer und gingen gemeinsam zu Glendas Schlafraum…
***
Sie hatte mir auf dem kurzen Weg noch mal erzählt, wo sie das Bild hingelegt hatte, und als wir ihr Schlafzimmer betraten, lag es noch immer an der gleichen Stelle auf dem Bett.
Am Fußende blieb ich stehen, denn der Platz war für eine Betrachtung des Bildes am Besten. Es lag auch so, dass ich genau darauf schauen und jede Einzelheit erkennen konnte. Dazu brauchte ich keine Lupe, denn alles Wichtige war sehr groß und deutlich gemalt.
Der Künstler hieß A. Furletto. Er hatte sich am Bildrand verewigt.
Der Name sagte mir nichts. Ebenso wenig wie der der Hauptperson, dieser toten Frau, in deren Körper zwei Pfeile steckten. Der Treffer in die Brust war tödlich gewesen.
Wer hatte sie umgebracht? Auf welcher Seite hatte die Frau gestanden? Da sie die Schwester eines Templer-Großmeisters gewesen war, hätte sie zwangsläufig auf der Seite der Templer stehen müssen, aber hundertprozentig sicher war ich mir da nicht. So viel ich wusste, hatten die Templer grundsätzlich keine Frauen in ihren Orden aufgenommen. Deshalb musste sie nicht unbedingt zu dieser Gruppe gehören.
Aber sie war eine Kämpferin gewesen, und sicherlich hatte sie auf der Seite der Templer gestanden. Wäre ihre Rüstung vollständig gewesen, dann hätte wohl kaum jemand erkennen können, dass es sich bei ihr um eine Frau handelte.
Der Gedanke ließ mich nicht los. Ich zog ein Fazit. Womöglich hatte Celine de Vichier unter dieser Verkleidung gegen die Feinde der Bruderschaft gekämpft und war sogar in den Orient gezogen, um an den Kreuzzügen teilzunehmen.
Lange und intensiv schaute ich mir das Bild an. Es präsentierte mir leider keine Lösung. Ich entdeckte keine Hinweise.
Aber ich gab nicht auf. Vielleicht war doch etwas zu sehen. Man musste nur genau hinschauen, deshalb fragte ich Glenda nach einer Lupe.
»Meinst du, dann kannst du etwas herausfinden?«
»Ich kann nicht darauf schwören«, erwiderte ich und zuckte dabei die Achseln. »Aber ich habe mit Bildern meine Erfahrungen sammeln können und auch schon manche Überraschung erlebt. Möglicherweise musste man sogar die erste Schicht abtragen.«
»Du meinst, dass ein anderes Bild übermalt wurde?«
»Habe ich schon alles erlebt.«
»Gut, ich hole dann die Lupe.«
Angelogen hatte ich Glenda nicht. Es kommt ja immer wieder vor, dass bei Renovierungsarbeiten in alten Kirchen unter dem Putz alte Fresken entdeckt werden.
Auch bei Bildern war dies der Fall. Noch traute ich mich nicht, an der alten Farbe zu kratzen. Ich wartete auf die Lupe, die Glenda mir auch bald brachte.
»Danke.«
Jetzt konnte ich nur hoffen, dass es besser wurde. Ich ließ das Bild an seinem Platz liegen, denn es hatte bereits die perfekte Lage. Mit der Lupe vor dem rechten Auge beugte ich mich dem Gemälde entgegen und begann mit einer Untersuchung. Von oben nach unten sollte sie verlaufen, und ich wollte mir auch den schwarzroten Hintergrund genauer anschauen.
Mit dem Gesicht fing ich an.
Ein Frauengesicht, das sehr naturalistisch gemalt worden war.
Man konnte von einer hübschen Frau sprechen. Ich fragte mich zugleich, wer das Bild in Auftrag gegeben hatte. Als es gemalt wurde, musste Celine de Vichier schon tot gewesen sein. Vielleicht hatte ihr Bruder den Maler engagiert, um so eine plastische Erinnerung an seine Schwester zu haben, wobei ich das nie und nimmer getan hätte.
Je mehr ich die Einzelheiten erkannte, desto deutlicher stellte ich fest, dass der Maler wirklich zur Spitze gehörte. Er hatte die Details aus dem Gesicht herausgearbeitet.
Tote Augen?
Nein, sie sahen nicht tot aus. Sie hatten nicht den leeren Blick einer Leiche. Für meinen Geschmack steckte so etwas wie Leben in den Augen.
Ich ließ die Lupe sinken, um mir den Körper anzusehen. Tief steckte der Pfeil in der linken Brust. Er
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