1373 - Die vergessene Sage
Ich denke, man muss es wirklich so sehen.« Glenda atmete tief durch. »Aber was unternehmen wir jetzt? Den eigentlichen Erfolg haben wir nicht erreicht.«
»Das ist wohl wahr. Trotzdem denke ich nicht daran aufzugeben, meine Liebe.«
»Was willst du denn tun?«
Ich lächelte sie an. »Bei dir bleiben. Ich kann mir vorstellen, dass du so wie ein Schlüssel oder Katalysator bist. Durch dich kann ich einer Sache näherkommen.«
»Das sehe ich anders. Ich habe nichts mit dem Bild zu tun, und auch nichts mit dieser Frau.«
»Bisher nicht.«
»Aha, dann wartest du also auf die große Hilfe.«
Ich ging nicht auf die Frage ein. Dafür griff ich noch mal zur Lupe, denn ich hatte den gesamten Hintergrund noch nicht erforscht.
Wieder beugte ich mich über das Gemälde. Manchmal kann ich stur sein, wenn ich mich in etwas verbissen habe. Die Augen waren schon ein Hinweis gewesen. Ihre Entdeckung hatte mich davon überzeugt, dass es einfach etwas geben musste. Das konnte nicht alles gewesen sein.
Wer sich das Gemälde anschaute, dem musste zwangsläufig der Hintergrund auffallen. Gemalt in wirklich satten Farben. In einem düsteren und trotzdem leuchtenden Rot, das in das tiefe Grau der Dämmerung überging und sich trotzdem von ihm absetzte.
Waren in diesen Schlieren möglicherweise Buchstaben oder Zeichen integriert worden? Symbole oder Anagramme, die durch eine andere Kombination der Buchstaben zu einem passenden und weiterbringenden Begriff zusammengesetzt werden konnten?
An all die Dinge dachte ich, während ich mich sehr auf diesen Ausschnitt konzentrierte.
Bis ich den Laut hinter meinem Rücken hörte. Es war nur ein leiser Aufschrei gewesen, nicht mehr. Da ihn aber Glenda Perkins ausgestoßen hatte, schrillten in mir die Alarmglocken.
Ich richtete mich mit einer heftigen Bewegung auf und drehte mich nach links.
Glenda stand auf den Beinen, aber sie war bis zur Wand zurückgewichen, als hätte sie einen heftigen Schlag erhalten. Sie presste sich dagegen, ihre Augen waren verdreht. Der Mund stand offen.
Heftige Atemstöße flossen zwischen den Lippen hervor.
»Was ist mit dir?« Ich wusste selbst, dass es eine dämliche Frage war, aber mir kam in diesem Moment nichts anderes in den Sinn.
»John… es … es … geht wieder los. Ja, ich … ich … spüre es überdeutlich.«
»Was hast…«
Sie ließ mich nicht ausreden. »Das Zimmer, John. Es bewegt sich. Die Wände. Sie sind nicht mehr da, wo sie hingehören. Sie rollen oder falten sich zusammen…«
Ich wollte mich um Glenda kümmern.
Ich wusste ja, dass sie in der Lage war, sich wegzubeamen. Das Serum sorgte dafür. Diese Nanoladungen, die man ihr gegeben hatte, hatten sie in die Lage gebracht, in diesen Zustand hineinzukommen und so etwas wie eine Zeitreise zu machen.
Glenda streckte mir die Hand entgegen. »Bist du noch da?«
»Ja, ja…«
»Ich sehe dich so anders.«
»Warte, ich komme…«
»Nein, nicht. Bleib weg. Es ist so schlimm. Ich muss es durchleiden und nicht du. Nur das Kreuz. Gib mir das Kreuz!«, schrie sie plötzlich. »Du hast es mir versprochen!«
In ihrer Stimme hatte ich ein Timbre gehört, das nur auf eines hindeutete. Sie setzte ihre Hoffnung auf das Kreuz. Sie wollte etwas haben, an dem sie sich festhalten konnte, und dies auch im übertragenen Sinne gesehen.
So schnell wie möglich holte ich meinen Talisman unter dem Hemd hervor. Glendas heftige Atemstöße waren dabei Antrieb für mich. Während ich das Kreuz hervorholte, erlebte ich ihren Kampf.
Glenda wollte fliehen. Ihre Haltung deutete darauf hin. Aber es war ihr nicht möglich, sich quer durch die Wand an ihrem Rücken zu pressen. Die war hart geblieben und hatte sich nicht gewellt.
Ich hielt das Kreuz in meiner rechten Hand. Glenda bekam es noch mit. Sie streckte mir ihren linken Arm entgegen und winkte mit den Fingern, zwischen die ich das Kreuz stecken sollte.
Das tat ich.
Glendas Finger griffen zu wie Krallen. Aus ihrem Mund drang ein stöhnender Laut.
Und ich tat etwas, was ich zuvor bei ihr nie getan hatte, wenn die Veränderung auftrat. Ich gab ihr nicht nur das Kreuz, ich hielt sie auch selbst fest. Wenn sie die Reise schon unternahm, dann wollte ich mit dabei sein. Bisher war sie immer allein losgereist, das sollte sich jetzt ändern. Ob es klappte, war fraglich.
Bei den Flammenden Steinen und bei Assunga, der Schattenhexe, hatte ich das alles erlebt, aber das war auf eine magische Weise passiert. Wie es sich bei Glenda verhielt, wusste ich nicht.
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