1375 - Wächterin der Toten
sind da!«
»Ruhig, ganz ruhig«, flüsterte Johnny, obwohl er selbst aufgeregt war, aber das wollte er nicht zeigen.
»Das bin ich ja.« Das Zittern in Claras Stimme deutete auf das Gegenteil hin.
»Nur nicht die Nerven verlieren. Wir kennen die Gefahr. Wir können uns auf sie einstellen. So cool wie möglich bleiben. Jedes Überreagieren wäre fatal.«
Es waren Sätze und Vorhaben, die Johnny irgendwann mal von John Sinclair und seinem Vater gehört hatte. Auch er selbst hatte sich schon in verdammt gefährlichen Situationen befunden, doch in der letzten Zeit war es ruhiger um ihn gewesen, sodass er sich fast an dieses ›normale‹ Leben gewöhnt hatte.
Nun sah es anders aus. Er war auf sich allein gestellt und glaubte nicht, dass ihm Clara eine große Hilfe war. Er spielte sogar mit dem Gedanken, sie wegzuschicken, doch das wäre auch nicht gut gewesen, denn er glaubte nicht, dass die andere Seite sie so einfach in Ruhe lassen würde.
Noch hatten sie sich nicht bewegt. Es war besser, wenn sie still stehen blieben und die Dinge auf sich wirken ließen. Bisher hatten sie nur den Gestank wahrgenommen und noch keinen gesehen.
Dass die Ghouls erschienen und dann wieder verschwunden waren, daran wollte er nicht glauben.
Clara Lintock hatte den Kopf gedreht und schaute ihn an. Wahrscheinlich erwartete sie eine Erklärung, aber Johnny zuckte nur mit den Schultern.
»Was meinst du damit?«
»Wir müssen abwarten, bis sie…« Er verstummte, denn beide hatten ein Geräusch gehört. Einige Sekunden ließen sie verstreichen, bis Clara den Arm hob und zur Decke deutete. Dabei formten ihre Lippen das Wort ›oben‹.
Johnny nickte. »Okay, das habe ich mir schon gedacht. Sie wollten zu deiner Großmutter.«
»Die ist doch tot.«
»Ja, wie auch immer. Sie haben dort noch etwas zu tun.«
»Was denn?«
Johnny suchte sich die Antwort. Ob sie stimmte, konnte er nicht sagen. »Möglicherweise wollen sie irgendwelche Spuren und Reste beseitigen. Wer kann das schon so genau sagen?«
Sie zog ein skeptisches Gesicht. »Denkst du dabei vielleicht an die Heiligenfiguren und die Engel?«
»Ja – auch.«
Clara sah Johnny an, dass er nicht alles gesagt hatte. »Und woran denkst du noch?«
»Mehr an das, was du erlebt hast. Du hast die Gestalt gesehen, deinen… ähm … Schutzengel oder …«
»Sprich nicht weiter. Ich weiß schon, was du damit meinst. Du hast sie schließlich auch erlebt, und sie hat dir gesagt, dass sie es nicht hat verhindern können.«
»Richtig, Clara. Darauf baue ich auf. Sie hat gesagt, dass sie es nicht hat verhindern können. Sie war eine Wächterin der Toten und hat sie nicht behüten können. Es ist ihnen gelungen, aus den Gräbern zu fliehen, das musst du dir mal vorstellen. Der Geist hat eine Niederlage erlitten. Er wird unruhig sein, nervös, und er wird wieder alles richten wollen.«
»Denkst du an eine Verfolgung?«
»Klar.«
Sie wies die Treppe hoch. »Dann können wir davon ausgehen, dass er sich dort oben aufhält.«
»Ich hoffe es.«
Sekundenlang sprach keiner von ihnen ein Wort. Aber jeder ahnte die Gedanken des anderen. Und jeder wusste auch von der bohrenden Furcht, denn was sie dort oben vermuteten, war einfach schlimm.
»Ich gehe vor«, erklärte Johnny.
»Und weiter?«
»Wenn alles in Ordnung sein sollte, werde ich dir Bescheid geben. Dann kannst du nachkommen. Wenn nicht…«
Clara schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Johnny. Mitgegangen, mitgehangen. Schließlich habe ich dich hergeholt. Das ist alles auf meinem Mist gewachsen. Lass uns also vernünftig sein. Ich schwöre dir, dass ich vorsichtig sein werde und…«
Johnny unterbrach sich. Er und auch Clara hatten das Geräusch an der Tür gehört.
Ein hartes Klopfen von außen.
»Wer kann das denn sein?«, hauchte Clara.
»Keine Ahnung.«
Es wurde wieder geklopft. Dabei hörten sie eine Männerstimme.
»Öffnet! Ich weiß, dass ihr im Haus seid.«
»Du meine Güte«, flüsterte Clara. »Das ist der Pfarrer. Was will der denn von uns?«
»Frag ihn.«
Sie räusperte sich. »Ich soll wirklich öffnen?«
»Ja.«
Sie schlich hin. Bevor das dritte Klopfen erklang, zog sie die Tür auf.
Ron Quaile trat mit einem langen Schritt über die Schwelle. Er schaute sich sofort um, ob es etwas Ungewöhnliches zu entdecken gab, aber da war nichts, woran er sich hätte stoßen können, bis eben auf eine wichtige Kleinigkeit.
Er zog die Nase hoch und begann zu schnüffeln. Dabei schaute er Clara und ihren Freund
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