138 - Die Pestburg
fliehen, doch ich hatte ihnen die Vorderbeine zusammengebunden. Noch einmal flackerten die Irrwische, dann rasten sie zwischen den Bäumen zurück auf die Ebene. „Kann ich dir helfen, Libussa?" fragte ich besorgt.
Doch sie antwortete nicht.
Ich entzündete eine stark rauchende Fackel und befestigte sie an einer Halterung am Wagen.
Dann beugte ich mich über Libussa, die keuchend aus ihrer Jacke schlüpfte. Ihr schönes Gesicht war unnatürlich bleich, und Schweißtropfen perlten über ihre Stirn.
Vergeblich versuchte sie den linken Arm zu bewegen, der wie gelähmt war. Mit der rechten Hand knöpfte sie das Hemd auf und schob es über die Schultern. Mühsam drehte sie den Rücken dem Schein der Fackel zu. Stöhnend krümmte und wendete sie den Oberkörper, dabei hielt sie mit der rechten Hand ihren gelähmten linken Arm hoch und versuchte einen Blick auf ihr Schulterblatt zu erhaschen.
Deutlich war der rot glühende Abdruck zu sehen, der ihr Fleisch verbrannt hatte. Eine Figur war zu erkennen, die halb Mensch, halb Bock war. Die Teufelsfratze hatte zwei kleine Hörner auf dem Hinterkopf und ein drittes auf der Stirn, von der ein rubinroter Schein ausging.
„Ein Teufelsmal", sagte ich entsetzt.
„Es brennt wie die Hölle", erklärte Libussa.
Aus dem Wagen holte sie einen Tiegel mit einer klebrigen Salbe.
„Schmier bitte eine fingerdicke Schicht auf das Stigma diabolicum, Gabor."
Sie biß die Zähne zusammen, als ich die Heilsalbe auf das Mal verteilte. Dabei dachte ich ständig an die Worte des Schrecklichen.
„Das tut gut", murmelte Libussa. „Es lindert den Schmerz."
„Wird das Mal verschwinden?" erkundigte ich mich.
„Nein, das ist bis zu meinem Lebensende eingebrannt. Ich habe die Macht des Schrecklichen tatsächlich unterschätzt, doch ich werde weiter gegen ihn kämpfen."
„Du bist unbelehrbar, Libussa."
„Vorerst suchen wir nach den Dokumenten, die deine wahre Herkunft enthüllen werden."
„Es interessiert mich nicht", stellte ich fest.
Nun sah mich Libussa durchdringend an. „Die Dokumente sind nicht sonderlich wichtig, da hast du recht, doch ich hoffe, daß Bethela auch andere Aufzeichnungen in der Burg Kreuzenstein versteckt hat, die mir im Kampf gegen den Schrecklichen helfen werden."
Kopfschüttelnd wandte ich mich ab, denn ihr war tatsächlich nicht zu helfen. Diese Verbissenheit war nicht normal, der Kampf gegen den Schrecklichen war bei ihr zu einer fixen Idee geworden, die ihr ganzes Tun und Handeln bestimmte.
Noch immer von Schmerzen gequält, lief Libussa hin und her und stieß Verwünschungen gegen den Schrecklichen aus.
Nach etwa einer Stunde fühlte sie sich etwas besser, und sie konnte auch den linken Arm mühsam bewegen.
An Schlaf dachten wir beide nicht, dazu waren wir zu unruhig.
Düster kroch der Morgen hoch.
Unsere Reise zur Burg Kreuzenstein artete in eine wilde Hetzjagd aus, so als säße uns der Teufel im Nacken.
Wir hatten die Route über Meinungen gewählt und legten nach Henneberg eine kurze Rast ein, dann ging es weiter bis Heustreu, dort bogen wir nach links in eine wenig befahrene Straße ein, die uns nach Königshofen brachte.
Die Pferde und ich waren völlig erschöpft, doch Libussa merkte man nichts von der Schinderei an. Bei einem alten Bauern erkundigte ich mich nach der allgemeinen Lage. Er war äußerst wortkarg und flüsterte nur etwas von der Pest, die in Bayern wüten sollte. Als ich nach Burg Kreuzenstein fragte, bekreuzigte er sich und ließ mich einfach stehen.
Krähen und abscheulich große Raben begleiteten uns auf der weiteren Fahrt, und ich vermutete, daß die Vögel im Auftrag des Schrecklichen uns beobachteten, doch Libussa lachte abfällig über diese Vermutung.
An Hofheim, Königsberg, Haßfurt und Westheim kutschierte ich vorbei.
Wieder einmal studierten wir den Plan, den mir Bethela hinterlassen hatte. Die Burg mußte irgendwo in dieser Gegend liegen.
Zwei kecke Wandersburschen, die fröhlich pfeifend auf uns zumarschierten, hielt ich an und befragte sie.
„Burg Kreuzenstein", murmelte einer und wechselte mit seinem Freund einen raschen Blick. „Dorthin würde ich an deiner Stelle nicht fahren", meinte der andere.
„Und warum nicht?"
Auf meine Frage bekam ich keine Antwort.
„Ich muß die Burg unbedingt finden", sagte ich drängend.
„Na schön, sie liegt in der Nähe von Bergtheim. Du kannst die Pestburg nicht verfehlen." „Pestburg?"
Sie zuckten mit den Schultern und wanderten weiter.
„Hast du das
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