1381 - Wanderer zwischen den Welten
ermöglichten. Sie musste sich völlig sicher fühlen, denn sie bewegte sich recht locker und hielt sogar die Hände auf dem Rücken verschränkt.
Dann blieb sie stehen.
Cynthia atmete tief durch. Sie fühlte sich ein wenig erleichtert, weil bisher noch nichts geschehen war, dass sie in eine Gefahr hätte bringen können. Aber sie schätzte diesen Besuch auch nicht als normal ein, das war ihr klar.
»So trifft man sich wieder«, sagte Norma.
Cynthia fühlte sich angesprochen. »Ich dachte, du wärst tot.«
Cynthia war sehr gespannt auf die Antwort. Dass ihre Besucherin lächelte, damit hätte sie am wenigsten gerechnet.
»Bist du nicht tot?«
»Sehe ich so tot aus?«
Die Artistin musste für einen Moment die Augen schließen. So konnte sie dem Klang der Stimme besser nachlauschen.
Sprach so eine Tote?
Nein, das konnte sie nicht glauben. Da stimmte was nicht. Eine Tote konnte nicht so reden wie ein normaler Mensch, das war einfach unmöglich. Sie hatte mal etwas über Stimmen aus dem Jenseits gehört und auch eine TV-Sendung darüber gesehen. Da waren die Stimmen der angeblich Toten zu hören gewesen, doch sie hatten sich anders angehört. Es war mehr ein Zischeln und Flüstern gewesen und keine normale Sprache wie hier bei Norma.
Sie war tot, und sie war zugleich nicht tot!
So etwas konnte man nur als völlig verrückt bezeichnen. Als durchgedreht, als was auch immer. Und sie fing an, nicht mehr daran zu glauben. Zweifel stiegen hoch. John Sinclair musste sie belogen haben, aber sie wollte eine hundertprozentige Gewissheit haben, auch wenn ihr davor schauderte.
»Darf ich dich anfassen?«, hauchte sie.
»Ja, gern…«
Norma kam auf Cynthia zu. In der Zwischenzeit dachte die blonde Artistin darüber nach, was sie hier eigentlich tat. Nie zuvor hatte sie die Haut eines Toten berührt, und sie fürchtete sich auch jetzt davor, aber sie wusste auch, dass es kein Zurück mehr gab.
Dicht vor ihr blieb Norma stehen. Cynthia musste sich nicht mal anstrengen, um sie zu berühren. Ein kurzes Vorstrecken der Hand reichte aus.
Mit ihren Fingern umfasste sie das linke Handgelenk der Frau.
Jetzt hätte sie eigentlich kalte Haut spüren müssen, und sie war auch bereit, die Hand wieder sofort zurückzuziehen, aber das passierte nicht.
Sie berührte keine Tote.
Vor ihr stand eine lebendige Person, die sich anfühlte wie jeder andere Mensch auch.
Aus ihrem Mund wehte ein Stöhnen. Cynthia merkte, dass ihre Hand wieder abrutschte, und sie beschäftigte der Gedanke, dass John Sinclair doch gelogen hatte.
Warum hatte er das nur getan?
»Bist du zufrieden?«, fragte Norma.
Cynthia nickte.
»Du siehst, dass alles in Ordnung ist.«
Die Blonde schaute Norma nicht an. Sie starrte ins Leere, und ihre Gedanken beschäftigten sich mit etwas anderem. Sie wollte noch immer nicht glauben, dass John Sinclair sie angelogen hatte. Das ergab einfach keinen Sinn. Wenn er aber gelogen hatte, dann würde er es auch weiterhin tun, und so war ihr Vertrauen in Sinclair stark erschüttert.
Cynthia verspürte den Drang zu weinen, um ihr ganzes Elend loszuwerden, aber sie riss sich zusammen, und so stockte der Tränenfluss und schloss irgendwie ihre Kehle zu.
»Warum sagst du nichts, Cynthia?«
Sie hob die Schultern.
»Du denkst aber nach – oder?«
»Ja.«
»Willst du es sagen, worüber?«
»Nein, will ich nicht. Ich muss allein damit fertig werden, verstehst du das?«
»Das verstehe und begreife ich. Deshalb gebe ich dir auch Zeit. Ich warte so lange.«
Cynthia fragte nicht nach, warum sie das tat. Sie sah, dass sich die Frau auf einen der festgeschraubten Stühle hockte und wirklich wartete wie eine Mutter auf ihr Kind.
War sie belogen worden?
Die Antwort schrie nach einem Ja, aber Cynthia wehrte sich plötzlich dagegen. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas hatte sie übersehen, und sie dachte verzweifelt darüber nach, was es wohl gewesen sein könnte.
Norma war zu ihr gekommen, als lebende Person. Also war sie nicht getötet worden.
Soweit, so gut oder so schlecht.
Aber warum hätte John Sinclair sie belügen sollen? Dafür fand sie keinen Grund. Er hatte sich ihr gegenüber sehr verständnisvoll gezeigt, wie auch Jane Collins – und jetzt…
Durch ihr Inneres ging plötzlich ein Ruck. Sie war froh, dass sie dieses nicht nach außen trug, und dann hatte sie den Eindruck, als würde eine Klappe vor ihren Augen wegfallen und es ihr ermöglichen, eine klare Sicht der Dinge zu haben.
Sie erinnerte sich wieder
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