1391 - Die Nacht des Pfählers
Flucht ergreifen.
Über die Motive dachte Suko nicht nach. Ihm kam es einzig und allein darauf an, dass die Person ihm nicht entwischte, und so machte er sich an die Verfolgung.
Es ging alles sehr schnell. Die junge Frau kam kaum zwei, drei Schritte weit, da hatte Suko sie eingeholt.
Sein Griff war mit dem einer Katzenmutter zu vergleichen, die ihr Junges packt. Die Frau spürte Sukos Hand im Nacken. Sie schrie vor Schreck und wurde dann herumgewirbelt, sodass sie ihn anschauen musste.
Er sah ihre Augen, in denen der Schrecken stand, und er hörte ihren heftigen Atem.
»Tut mir Leid, so haben wir nicht gewettet!«
Ob sie ihn verstand, wusste er nicht, aber der Griff in den Nacken bewies ihr, wer hier das Sagen hatte…
***
Ich hätte es wissen müssen, dass diese Gestalt noch in der Nähe lauerte und genau auf den Augenblick wartet, an dem sie am besten zuschlagen konnte, aber ich war kein Supermann und besaß im Rücken auch keine Augen. Hinzu kam der Nebel, der die Realität so unwirklich machte. Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich durch den Aufprall nach vorn gewuchtet wurde.
Mir passierte so etwas nicht zum ersten Mal. Die Gedanken schossen mir ja während des Falls durch den Kopf, und ich hatte auch Zeit, mich auf den Aufprall einzurichten.
Er kam, ich rollte mich ab.
Alles lief perfekt, und ich merkte, dass der Blutsauger damit nicht gerechnet hatte. Er führte den Angriff nicht fort. Er blieb auf der Stelle stehen, als rechnete er damit, dass ich liegen bleiben würde.
Das tat ich auch.
Nur hatte ich mich dabei auf den Rücken gedreht und auch meine Waffe angehoben. Ich zielte damit schräg nach oben und ließ den Blutsauger in die Mündung schauen.
»Keinen Schritt weiter!«
Es war die Frage, ob er mich verstanden hatte, denn ich hatte Englisch gesprochen, befand mich aber in Rumänien. Der Anblick der Waffe allerdings sprach wohl Bände.
Er nickte. Oder war es nur einfach eine Reaktion, die er nicht richtig kontrollieren konnte?
Ich wusste es nicht, aber einige Sekunden später bekam ich die Bestätigung, dass er gar nicht daran dachte, aufzugeben. Trotz der auf ihn gerichteten Waffe hechtete er in meine Richtung. Wie ein Brett wollte er auf mich niederfallen und so an mein Blut kommen.
Ich schoss.
Zu verfehlen war er nicht. Deshalb schaute ich auch gar nicht hin, sondern rollte mich zur Seite. Genau das war das Beste, was ich tun konnte.
Neben mir prallte er zu Boden. Sein Arm schlug noch gegen meinen Rücken, dann war es vorbei.
Auf dem feuchten Waldboden rutschte ich ein Stück weiter. Nadelzweige erwischten mein Haar und kratzten dabei über den Kopf hinweg. Mit dem Aufstehen ließ ich mir Zeit. Ich wusste, dass ich der Sieger war.
Der Wiedergänger rührte sich nicht. Bäuchlings lag er neben mir.
Wie eine Figur, die jemand umgekippt hatte.
Den rechten Fuß drückte ich unter seinen Körper und drehte die Gestalt auf den Rücken. Dann leuchtete ich sie an und ging dabei in die Hocke.
Das geweihte Silbergeschoss hatte sein Gesicht in der Mitte getroffen und es halb zerstört. Von der Nase war nichts mehr zu sehen, und auch ein Teil des Munds war zerstört.
Die Gefahr war gebannt, aber weiter brachte es mich auch nicht.
Wichtig war auch, wie sich mein Freund Suko aus der Affäre gezogen hatte.
Der Weg zurück war nicht sehr lang. Ich hätte ihn auch schnell gefunden, aber da war noch der verdammte Nebel, der mir Probleme bereitete. Ich wusste auch nicht mehr, aus welcher Richtung ich gekommen war. So kam ich mir plötzlich vor wie der Bruder von Gretel, der sich mit seiner Schwester zusammen im Wald verirrt hatte.
Es gab nur eine Möglichkeit. Suko musste mir helfen, und deshalb rief ich laut seinen Namen.
Beim ersten Mal hörte ich nichts. Beim zweiten Versuch allerdings klappte es.
»Bei mir ist alles okay, John!«
»Wunderbar. Dann brauche ich dich nur zu finden!«
»Tu das!«
Ich hatte mich auf die Richtung konzentriert. Den genauen Standort fand ich bestimmt nicht sofort. Ich ging deshalb auf die Straße zu. Sie war leicht zu finden. Außerdem stand dort der Wagen, in dessen Nähe wird uns aufgehalten hatten.
Als ich mich durch das Unterholz wühlte, sah ich das Licht. Die Scheinwerfer waren nicht ausgeschaltet worden, sie markierten den Zielpunkt, an dem sich auch Suko aufhielt. Allerdings nicht allein.
Neben ihm stand eine blonde Frau. Sie war recht klein, auch ein wenig pummelig und schaute mich an, wobei ihre Augen so aussahen, als würden sie
Weitere Kostenlose Bücher