1395 - Das Vermächtnis des Vaters
eingebildet hatte.
Auch jetzt kam mir niemand entgegen. Ich schritt durch die klamme Kälte und hatte meine Hände in den Außentaschen der Lederjacke vergraben. Dabei war ich in Gedanken versunken, ohne allerdings über konkrete Dinge zu sinnieren.
Dafür war ich sehr beobachtungsfreudig. Drehte mich mal abrupt um oder schaute zur Seite, ohne allerdings etwas zu sehen. Der Schatten blieb verschwunden.
Ich ging auf das alte Tor zu, nachdem ich die Mauer passiert hatte, an deren Außenseite meine Eltern auf schlimme Art und Weise zu Tode gekommen waren.
Jenseits des Tores lag der kleine Parkplatz. Ein ruhiger Flecken Erde, jetzt mit einem brauen Muster aus winterlichem Laub überzogen. Ich sah schon den Wagen, in dem Jane wartete. Er stand als einiges Fahrzeug dort. Die Scheiben waren von innen beschlagen, sodass ich die Detektivin nicht sah.
Nach wenigen Schritten hatte ich den Ford Ka erreicht, und es beschlich mich schon ein ungutes Gefühl. Ich trat an die Beifahrertür heran, um sie zu öffnen.
Eigentlich hätte Jane schon reagieren müssen. Als ich die Hand um den Türgriff legte, kam mir dieser Gedanke, den ich nicht weiterverfolgte. Ich zog die Tür auf, sah Jane – und erschrak bis in Mark.
Sie saß nicht auf dem Sitz. Zumindest nicht normal. Sie war zusammengesunken und gegen die linke Türseite gefallen, wo sie lag wie eine Tote…
***
Ich erschrak natürlich. Das Blut verließ mein Gesicht, aber ich dachte in diesen Momenten nicht so sehr an Jane Collins, sondern an den seltsamen Schatten, den ich zu sehen geglaubt hatte. Wenn ich an ihn dachte und mir jetzt Janes Zustand betrachtete, dann rieselte es mir schon kalt den Rücken hinab.
»Jane…«
Sie reagierte nicht auf meine Ansprache.
»Bitte, Jane…«
Auch jetzt sagte sie nichts. Kein Stöhnen, kein leise gesprochenes Wort. Sie blieb einfach stumm, als wäre sie tatsächlich eine Tote, die nichts mehr sagen konnte.
Erst jetzt fing mein Herz schneller an zu schlagen. Die Echos trieben bis zum Kopf hin, und ich spürte zugleich den Druck in meiner Brust. Schlimmste Befürchtungen erwischten mich, als ich mich in den kleinen Wagen hineinschob und mit der rechten Hand die Schulter der Detektivin berührte.
Sie schwankte unter meinem Griff. Der Körper pendelte von einer Seite zur anderen und wäre mir entgegengekippt, wenn ich ihn nicht gehalten hätte.
Dann endlich stieg ich in den Wagen, setzte mich neben Jane und sorgte so dafür, dass sie nicht fallen konnte.
Ihr Kopf war mir entgegengesunken. Ich merkte, dass sich mein Herzschlag beschleunigte, als ich meine Fingerkuppe an die Schlagader legte und noch in der gleichen Sekunde aufatmete, weil Jane Collins noch lebte.
Wie sie in diesen Zustand hineingeraten war und wer sich dafür verantwortlich zeigte, das musste sich noch herausstellen, und sie würde es mir bestimmt sagen.
In den folgenden Sekunden suchte ich ihr Gesicht ab, weil ich irgendwelche Hinweise auf Schläge finden wollte. Blaue Flecken, kleinere Blessuren vielleicht, aber da war nichts zu entdecken. Nur dieses bleiche Gesicht, aus dem sich alle Farbe zurückgezogen hatte.
Seltsam…
Wie war sie in diesen Zustand hineingelangt? Ich dachte an ein Gas und fing an zu schnüffeln, aber die Luft hier im Wagen roch nicht anders als draußen.
Das Rätsel blieb nicht nur, es fing an, sich zu vergrößern, und nur Jane selbst konnte mir eine Artwort geben. Da musste ich nur warten, bis sie aus ihrem Zustand wieder erwachte.
Ich strich ein paar mal durch ihr kaltes Gesicht. Ich rieb an den Wangen, schüttelte sie leicht und achtete dabei auf ihre Augen, in denen endlich der tote Blick verschwinden sollte.
Ja, es klappte. Instinktiv hatte ich die richtige Methode angewandt. Jane öffnete mit leicht zuckenden Bewegungen den Mund, um Atem zu holen.
»Jane…«
Mir war nichts anderes eingefallen, als ihren Namen zu rufen, und diesmal erlebte ich eine Reaktion, denn sie stöhnte leise auf.
Ich rieb weiterhin ihre Wangen und sorgte dafür, dass sie ihren Zustand verließ. Wieder vernahm ich das leise Stöhnen – und sah auch das Zucken der Augen.
Dann schaute sie nach vorn.
Mich sah sie nicht, weil ich neben ihr saß, aber sie wusste, dass ich in der Nähe war.
»John…?«
»Ich bin bei dir.«
»Dann ist es kein Traum?«
»Nein, das ist es nicht.«
Sie stöhnte. Zunächst mal musste ich sie in Ruhe lassen, denn sie musste sich im normalen Leben erst wieder zurechtfinden.
Ich hätte ihr gern etwas zu trinken gegeben
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