14 - Der große Krieg
Friedensverträge keine stabile internationale Ordnung schufen und die Grundlage für den Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus legten, die dann zum Zweiten Weltkrieg führten und von dort zum Kalten Krieg, der erst 1989 endete. Auch wenn man nicht so weit ausgreifen will, markiert 1918 nicht das Ende des Krieges, denn an ihn schlossen sich zahlreiche weitere Kriege und bewaffnete Konflikte an, die unmittelbar aus ihm hervorgingen und zum Teil bis in die frühen 1920er Jahre hinein andauerten. Die Liste dieser gewaltsamen Konflikte ist lang. Sie reicht vomrussischen Bürgerkrieg, der wahrscheinlich mehr Russen das Leben gekostet hat als der Erste Weltkrieg, über die zahlreichen Grenzkonflikte und Kriege nach 1918 in Ostmitteleuropa bis hin zum türkischen Unabhängigkeitskampf und dem türkisch-griechischen Krieg, der erst 1923 mit dem Frieden von Lausanne zu Ende ging, oder dem Kampf für die ägyptische Unabhängigkeit.
Aus dieser gesamteuropäischen, globalen und zeitlich weitgestreckten Betrachtungsweise ergeben sich die Schwerpunkte und zentralen Fragestellungen des vorliegenden Buches. Wie unterschied sich der Krieg im Westen von dem in Osteuropa und auf dem Balkan? Welche Besonderheiten wies die Kriegführung im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika auf? War der Erste Weltkrieg der letzte klassische Krieg, in dem, wie an der Westfront, vor allem Soldaten kämpften und starben, oder trug er bereits Züge eines »entgrenzten Krieges«, in dem sich die völkerrechtlich sanktionierte Linie zwischen Militär und Zivilbevölkerung verwischte, wie an der Ostfront, auf dem Balkan und im Nahen Osten? Inwieweit prägten Kriegsverbrechen diesen Konflikt? Wie wurden die Kriegsgefangenen behandelt, von denen es nun mehr als in jedem anderen Krieg zuvor gab?
Ein zweiter Fragenkomplex betrifft die globale Dimension des Krieges. War der große Krieg wirklich ein globaler Krieg und nicht doch in erster Linie ein europäischer Konflikt? War er tatsächlich der erste der Weltkriege? Was unterscheidet ihn von vorangehenden Kriegen zwischen europäischen Mächten wie dem Siebenjährigen Krieg oder den napoleonischen Kriegen, die zum Teil auch schon außerhalb Europas ausgetragen worden waren? Warum weitete sich der Krieg über die Grenzen Europas hinweg aus? Wie hing der europäische Kernkonflikt in Europa mit den regionalen Konflikten außerhalb Europas zusammen? Inwieweit haben die Kolonialmächte ihre außereuropäischen Ressourcen mobilisiert? Welche Erfahrungen machten Soldaten und Arbeiter aus den Kolonien in Europa? Welche Folgen hatte der Krieg für die außereuropäische Welt und die globalen Machtverhältnisse? Hat er das Zeitalter der Dekolonialisierung eingeleitet?
Ein dritter Komplex von Problemen betrifft Fragen der Periodisierung. Da ist zunächst die Vorgeschichte des Krieges. Wie eng hängt die Vorkriegszeit mit der Katastrophe von 1914 zusammen? Lässt sich ein Zeitpunkt bestimmen, ab dem sich die internationalen Krisen so verschärften und verdichteten, dass ein großer Krieg wahrscheinlich oder sogar unvermeidlich wurde? Wenn Osteuropa und der Nahe Osten keine Nebenschauplätze des großenKrieges waren, wann endete er dann? Mit dem endgültigen Sieg der Roten Armee im russischen Bürgerkrieg 1922 oder mit dem Vertrag von Lausanne 1923, der dem Nahen Osten Frieden brachte? Oder war der große Krieg nur der Auftakt zu einem zweiten dreißigjährigen Krieg, der erst mit dem Zweiten Weltkrieg und der Niederlage von Faschismus und Nationalsozialismus zu Ende ging?
Die vorliegende Darstellung ist kein Handbuch. Sie deckt nicht alle Themen ab. Sie versteht sich als ein Überblick, der auf der Basis einer auch für die Experten nur noch schwer zu überschauenden Forschungsliteratur systematische Schneisen schlägt und sich auf die wichtigsten Akteure und Kräfte, Entwicklungen und Konstellationen beschränkt. Wo immer es sich anbietet, wird die makrohistorische Perspektive durchbrochen und Ereignisse und Zusammenhänge durch den Blick auf die Erfahrungen einzelner Menschen und ihre Schicksale deutlich gemacht. So kombiniert die Darstellung auch ganz verschiedene historische Ansätze und methodische Ebenen, von der Militär- und Technikgeschichte, der Geschichte der Staatlichkeit und der politischen Ideen, der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts über die Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte bis hin zur Geschichte der Mentalitäten und Emotionen, der Bilder und Repräsentationen,
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