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14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul

14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul

Titel: 14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Bewohnern zusammenbrachen.
    Bei diesen Gedanken war es mir, als ob auch mich das Kontagium ergriffen habe. Trotz der Hitze überlief es mich kalt. Ich schüttelte mich und ritt den andern schnell nach, um aus der Stadt und meinen Gedanken fortzukommen.
    Zwischen der Straße nach Basra links und derjenigen nach Deïr rechts kamen wir an Ziegeleien und an dem Grabmal der Zobeïde vorüber, passierten den Oschach-Kanal und befanden uns nun im freien Feld. Um Hilla zu erreichen, hatten wir den schmalen Isthmus zu durchschneiden, welcher den Euphrat von dem Tigris trennt. Hier stand noch zu Ende des Mittelalters Garten an Garten; da wehten die Palmen, da dufteten die Blumen, da glänzten die herrlichsten der Früchte am blätterreichen Geäst. Jetzt gilt hier Uhlands Wort: „Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand.“ Die lebensspendenden Kanäle sind vertrocknet und scheinen nur vorhanden zu sein, um räuberischen Beduinen zum Schlupfwinkel zu dienen.
    Die Sonne brannte noch immer heiß hernieder, und die Luft schien die Spuren der Todeskarawane zu tragen, welche gestern hier vorübergeschlichen war. Ich hatte die Empfindung, als befände ich mich an einem ungelüfteten Krankensaal, welcher von Pockenbehafteten angefüllt ist. Und das war nicht etwa Einbildung, sondern auch Halef machte diese Bemerkung, und der Engländer schnüffelte mit seiner Beulennase höchst übelwollend in der stagnierenden Atmosphäre umher.
    Hier oder da überholten wir einen alten Pilger, welcher sich in Kerbela begraben lassen wollte und ermüdet zurückgeblieben war, oder eine Gruppe von Aliisten, welche einem armen Maultier mehrere Tote aufgebürdet hatten; das Tier keuchte schwitzend vorwärts, die Männer schritten mit zugehaltenen Nasen zur Seite, und hinter ihnen strömte der Todeshauch der Verwesung auf uns ein.
    Am Weg saß ein Bettler; er war vollständig nackt – bis auf einen schmalen Schurz, welcher um seine Lenden gegürtet war. Er hatte seinem Leide um den ermordeten Hosseïn in höchst widerlicher Weise Ausdruck gegeben: die Schenkel und Oberarme waren mit spitzigen Messern durchstochen, und in die Unterarme, Waden, in den Hals, durch Nase, Kinn und Lippen hatte er von Zoll zu Zoll lange Nägel getrieben; an den Hüften und im Unterlaub bis herauf zu den Hüften hingen, in das Fleisch eingebohrt, eiserne Haken, an denen schwere Gewichte befestigt waren; alle andern Teile seines Körpers waren mit Nadeln bespickt, und in die nackt rasierte Kopfhaut hatte er lange Streifen geschnitten; durch jede Zehe und jedes Fingerglied war ein Holzpflock getrieben, und es gab an seinem ganzen Körper keine pfenniggroße Stelle, welche nicht eine dieser schmerzhaften Verwundungen aufzuweisen hatte. Bei unserm Nahen erhob er sich und mit ihm ein ganzer Schwarm von Fliegen und Mücken, welche den über und über blutrünstigen Menschen bedeckten. Der Kerl war entsetzlich anzusehen.
    „Dirigha Allah, waj Mohammed! Dirigha Hassan, Hosseïn!“ kreischte er mit widerlicher Stimme und streckte bettelnd uns beide Hände entgegen.
    Ich hatte in Indien Büßer gesehen, welche sich auf die fabelhaftesten Weisen Schmerzen verursachten, und mit ihnen immer Mitleid gefühlt; diesen fanatisch dummen Menschen aber hätte ich wahrhaftig lieber eine Ohrfeige als ein Almosen gegeben, denn neben dem Grauen, welches sein ekelhafter Anblick erweckte, konnte ich auch den Unverstand nicht ertragen, welcher so scheußliche Martern ersinnt, um den Todestag eines doch nur sündhaften Menschen zu begehen. Und dabei hält sich ein solcher Mensch für einen Heiligen, dem nach dem Tod der oberste Rang des Paradieses sicher ist, und der auch bereits hier auf der Erde neben reichlichen Almosen die demütigste Verehrung zu beanspruchen hat.
    Hassan Ardschir-Mirza warf ihm einen goldenen Doman zu.
    „Hasgadag Allah – Gott segne dich!“ rief der Kerl, die Arme wie ein Priester erhebend.
    Lindsay griff in die Tasche und gab ihm einen Gersch zu zehn Piaster.
    „Subhalan Allah – gnädiger Gott!“ sagte der Unhold schon weniger höflich, denn er stellte Allah und nicht Lindsay als Geber hin.
    Ich zog einen Piaster hervor und warf ihm denselben vor die Füße. Der schiitische ‚Heilige‘ machte zuerst ein erstauntes Gesicht, dann aber ein sehr zorniges.
    „Azdar – Geizhals!“ rief er, und dann fügte er mit der Gebärde des Abscheus und mit außerordentlicher Schnelligkeit hinzu: „Azdari, pensch Azdarani, deh Azdarani, hezar Azdarani, lek

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