14 - Roman
Juliettes Abkunft niemanden daran, dieses Kind, Halbwaise schon vor seiner Geburt, mit aller Fürsorge zu umgeben.
Das verzeihe ich mir nie, seufzte Monteil, damit werde ich nicht fertig. Man hatte ja tatsächlich gehofft, dank der Verbindungen des Arztes wäre Charles in der Luft und fern der Front sicherer vor Beschuss als auf dem Boden. Zwar hatten diese Verbindungen funktioniert, es hatte geklappt, man hatte ihn von den Bodenkämpfen befreit und zur gerade im Entstehen begriffenen Luftwaffe versetzt – deren so aktive Rolle bei den Kämpfen noch kein Zivilist vorhersehen konnte –, so dass er in Sicherheit schien. Nun aber hatte sich das alles in allem als Fehlkalkulation erwiesen, da Juliettes vermutlicher Vater in der Luft noch schneller umgekommen war, als es im Schlamm möglicherweise geschehen wäre. Ich werde mir ewig Vorwürfe machen, sagte Monteil immer wieder. Und ebenso: Vielleicht wäre es ihm bei der Infanterie besser ergangen. Man hat es nicht wissen können. Blanche antwortete knapp, Selbstvorwürfe würden jetzt auch nichts helfen, man solle sich bitte nicht ewig damit aufhalten und es wäre nicht verkehrt, wenn er stattdessen lieber einen Blick auf die Kleine werfen würde.
Die jetzt drei Monate alt war, es war Frühlingsanfang, durch das Fenster, vor dem der Kinderwagen stand, sah Blanche jetzt alles knospen, wenn auch immer noch ohne jeden Vogel. Entschuldigen Sie bitte, sagte Monteil, erhob sich schwer aus seinem Sessel, zog das Kind aus dem Wagen, um es zu untersuchen – Atmung, Temperatur, Reaktionen –, und erklärte dann, meine Güte, ja, alles sehe bestens aus. Sehr schön, Blanche bedankte sich und packte den Säugling wieder ein. Und Ihre Eltern, erkundigte sich der Arzt. Sie halten sich ganz gut, sagte Blanche, es war schwer für sie nach Charles’ Tod, aber die Kleine lenkt sie ab. Ja, Monteil fing seine Leier wieder an, das werde ich mir ewig verübeln, es sollte doch zu seinem Besten sein, nicht wahr. Schon gut, damit schloss Blanche. Ach ja, und sein Bruder, fragte Monteil. Entschuldigung, sagte Blanche, wessen Bruder? Charles’ Bruder, erinnerte Monteil sie, haben Sie Nachricht von ihm? Postkarten, antwortete Blanche, er schickt regelmäßig Postkarten. Und sogar dann und wann einen Brief. Ich glaube, zurzeit sind sie an der Somme, er beklagt sich nicht. Ach, schön, meinte Monteil. Anthime, daran erinnerte Blanche, ist sowieso niemand, der sich schnell beklagt. Sie wissen, wie er ist, er gewöhnt sich an alles.
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U nd in der Tat gewöhnte Anthime sich. Abgesehen davon, wenn er sich nicht gewöhnt, sondern Probleme damit gehabt hätte, die Dinge zu ertragen, und das hätte mitteilen wollen, so war es dank Briefzensur nicht eben leicht, derlei Klagen loszuwerden. Ja, Anthime fügte sich eher schnell in die tägliche Routine von Putzen, Schanzarbeiten, Aufladen und Transport des Materials, Aufenthalten im Schützengraben, nächtlichen Ablösungen und Ruhetagen. Welche übrigens nur dem Namen nach Ruhetage waren und eigentlich in Exerzieren, Unterrichtung, Manövern bestanden, in Typhusimpfungen, Duschen, wenn alles gutging, Paraden, Waffenappellen und Zeremonien – Überreichung der ein halbes Jahr zuvor rasch erfundenen Auszeichnung »Croix de Guerre« oder zum Beispiel an einem der letzten Tage Belobigung eines Kompaniefeldwebels ihres Zuges für seine Zuverlässigkeit an der Front trotz seines Rheumas. Anthime gewöhnte sich ebenfalls an die Stellungswechsel, an die Uniformwechsel und vor allem an die anderen.
Die anderen, das waren im Wesentlichen, wenn auch nicht nur, Bauern, Landarbeiter, Handwerker oder Lohnarbeiter, eine eher proletarische Versammlung, innerhalb deren diejenigen, die lesen, schreiben und rechnen konnten wie Anthime Sèze, nicht in der Mehrheit waren, doch so konnten sie die Briefe für ihre Kameraden verfassen und ihnen die vorlesen, die sie erhalten hatten. Die Neuigkeiten wurden dann an diejenigen, die sie wissen wollten, weitergegeben, was Anthime unterließ, als er von Charles’ Tod erfuhr, den er nur Bossis, Arcenel und Padioleau anvertraute – diesen vier gelang es übrigens trotz aller Truppenbewegungen mehr oder weniger, dass sie nie allzu weit voneinander entfernt waren.
Was den Uniformwechsel angeht, so erhielten sie im Frühling neue hellblaue Kapuzenmäntel zugeteilt, sehr kleidsam in der wiedergekehrten Sonne, während die allzu auffällige rote Hose ihrerseits so gut wie verschwunden war, sei es, dass man sich eine blaue
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