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14 - Roman

14 - Roman

Titel: 14 - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Als er endlich seine Trümpfe unterm Kinn festklemmen konnte, brauchte er noch eine kleine Weile, bevor er sich traute, im Cercle Républicain wortlos mit anderen von der Front heimgekehrten Versehrten eine Manille zu spielen – wobei alle stillschweigend übereinkamen, lieber nicht über ihre Erlebnisse zu reden. Zwar spielt Anthime langsamer als ein- oder beidseitig Beinamputierte, dafür wiederum schneller als die Kampfgasopfer, die ja nicht über Karten mit Brailleschrift verfügten. Da man ihm aber immer wieder anbot, sich helfen zu lassen, da man das immer wieder ausnutzte, um ihm in die Karten zu schauen, hatte er es irgendwann satt und nahm an den Runden im Cercle Républicain nicht mehr teil.
    Langeweile herrschte also in diesen Wochen, Einsamkeit, doch hatte Anthime eines Morgens vor der Kathedrale auf einmal das Gefühl, beides könnte fortan etwas leichter sein, als sein Blick, der über Passanten und Straßenpflaster schweifte, zerstreut einen den gegenüberliegenden Bürgersteig abtastenden Stock hinaufwanderte, um schließlich bei einer getönten Brille zu landen. Diese Stöcke waren noch nicht weiß, so sollten sie erst nach Ende des Krieges gefärbt sein, und die Brillen waren noch nicht tiefschwarz, sondern nur so wenig getönt, dass Anthime hinter ihr Padioleaus Gesicht erkennen konnte. Padioleau am Arm seiner Mutter; er war wegen eines schwach nach Geranien duftenden Gases erblindet und fast zur selben Zeit von der Front heimgekehrt wie Anthime, dessen Stimme er sofort erkannte.
    Doch die Wiedersehensfreude hielt nicht lange an. Anthime musste bald feststellen, dass Padioleau seit dem Verlust seines Augenlichtes zu nichts mehr viel Lust hatte. Die Ausübung seines Berufs war ihm genommen, er hatte nie eine Alternative zu Handwerk, Kunst und Wissenschaft der Fleischhauerei erwogen, das Fehlen einer Umschulungsmöglichkeit machte ihn zu einer Null, trieb ihn zur Verzweiflung, er konnte keine Pläne schmieden und sich auch nicht mit der Aussicht trösten, dass manche ihre Behinderung ja überwanden, und das auf zahlreichen Gebieten, sogar in sehr anspruchsvollen Berufen, wo sie bisweilen zu genieartigen Höhen gelangten – nun stimmt es allerdings auch, dass man unter den Blinden weniger oft Metzger als Pianisten antrifft.
    Und da sich diese beiden Männer nun wiedergefunden hatten, galt es auch, sich miteinander zu beschäftigen. Doch das Kartenspiel war für Padioleau ausgeschlossen, aus der Zeitung vorzulesen ermüdete Anthime bald, und so langweilten sie sich wieder ganz schön. Um sich diese Langeweile zu vertreiben, beschworen sie häufig diejenige herauf, die sie an der Front erduldet hatten und die, garniert mit all dem Entsetzlichen, ja doch sehr viel schlimmer gewesen war. So vertrieben sie sich die Zeit, indem sie erwähnten, wie sie sich dort die Zeit vertrieben und was sie sich alles zu diesem Zweck hatten einfallen lassen. Weißt du noch? Weißt du noch?
    Arcenel hatte sich der Steinschnitzerei hingegeben und Basreliefs auf den weißen Steinen verfertigt, die hier und da aus dem Lehm der Schützengräben ragten. Bossis widmete sich der Herstellung von Ringen, Uhrgehängen und Eierbechern aus dem Aluminium der feindlichen Granathüllen, dem Kupfer und Messing der Patronenhülsen, dem Gusseisen der Eierhandgranaten. Befähigt durch seine zivilen Erfahrungen in der Schuhherstellung, hatte Anthime seinerseits begonnen, aus zurückgelassenen Riemen Schnürbänder zu schneiden. Dann war ihm die Idee gekommen, aus diesen Gurten Armbänder zu fertigen, die erst verknotet, dann mit einer Schließe versehen wurden und erlaubten, die Taschenuhren mittels bei sechs und zwölf Uhr angeschweißten Bügeln am Handgelenk zu tragen, und er meinte, jetzt habe er das Uhrenarmband erfunden. Dann liebäugelte er mit der grandiosen Idee, diese Erfindung nach seiner Rückkehr patentieren zu lassen – um dann zu erfahren, dass Louis Cartier bereits zehn Jahre zuvor ebendieselbe Idee gehabt hatte, um seinem Freund Santos-Dumont zu helfen, jenem Luftschiffer, der darüber geklagt hatte, dass er beim Steuern seiner Fluggeräte nicht die Uhr aus der Tasche ziehen konnte.
    Ja, es hatte trotz allem gute Momente gegeben. Sogar das Entlausen, das war zwar nicht gerade amüsant, aber sich die Läuse von der Haut zu sammeln, aus den Falten der Kleidung und der Unterwäsche, bot doch zwischen den Alarmen eine Abwechslung, eine stets unvollendete, vorläufige und vergebliche, denn dieser Gliederfüßler hinterließ

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