1409 - Der Kopf des Zwillings
wie Aibon vor.
Der Kleine bückte sich. Er musste dabei seine kurzen Arme weit nach vorn strecken, um den recht großen Kopf zu umfassen. Als er das getan hatte, holte er tief Luft und stand wieder auf.
Er hatte uns den Rücken zugewandt und blieb für einige Sekunden stehen, wobei er ein Zittern nicht unterdrücken konnte. Zu stark waren seine Emotionen.
Nach einer Weile drehte er sich langsam um. Und als wir in sein Gesicht schauten, da sahen wir die Tränen in seinen Augen schimmern. Ob es Tränen der Freude oder des Leids waren, wussten wir nicht. Wahrscheinlich traf beides zu.
Auch Suko und ich waren seltsam berührt. Hier hatte jemand etwas gefunden, nachdem er lange, sehr lange gesucht hatte, und wir gönnten es ihm vom ganzen Herzen.
Er schaute uns an. Und wir lasen in seinem Tränenblick sogar eine tiefe Dankbarkeit. Für einen Weile stand er einfach nur da, den Kopf mit seinen kleinen Händen umfassend.
Dann endlich konnte er etwas sagen. »Ich bin jetzt sicher, dass ich mein Ziel erreicht haben. Der Bruder ist wieder bei mir, und ich werde mich jetzt von dieser Welt und auch von euch verabschieden. Seid versichert, dass ihr in mir einen Freund gefunden habt, der euch ebenfalls helfen wird, wann immer ihr Hilfe gebraucht.«
»Das wissen wir«, sagte Suko. Ich wollte ebenfalls etwas sagen, doch da erreichte uns ein hässliches Lachen. Das Spiel war noch nicht vorbei…
***
Der Zwerg, Suko und ich standen für einen Moment auf der Stelle, als hätte man uns vereist. Das Lachen war nur kurz erklungen. Es hatte sich scharf und auch siegessicher angehört, aber wir hatten noch nicht gesehen, von wem es stammte.
Jedenfalls hielt sich der Lacher in unserem Rücken auf. Wir konnten ihn deshalb nicht sehen, der Zwerg schon, und er hatte seinen Kopf dabei leicht gedreht.
Die Freude in seinem Gesicht verschwand schlagartig, als er sah, was da passiert war. Er hielt den Kopf seines Bruders fest wie einen kostbaren Gegenstand. Er bewegte sich dabei um keinen Zentimeter von der Stelle. Wir taten genau das Gegenteil und drehte uns um.
Es stimmte. Unsere Ahnungen hatten sich erfüllt. Vor uns standen zwei der Männer in Grau. Sie waren leider nicht allein gekommen, denn sie hatten noch so etwas wie einen Trumpf oder eine Geisel mitgebracht.
Burt Lester starrte uns aus vor Angst weitaufgerissen Augen an…
***
Die beiden Männer in Grau hatten noch nichts getan, doch ihre Anwesenheit hatte alles verändert, und es stand fest, dass sie gekommen waren, um sich den Kopf für immer und alle Zeiten zu holen.
Beide hielten sie ihren menschlichen Trumpf fest. Jeder hatte einen Arm des Holzfällers gepackt und ihm so weit nach hinten gebogen, dass der Mann kurz vor der Schmerzgrenze stehen musste. Da es still geworden war, hörten wir sein Keuchen. Er musste auch geschlagen worden sein, das erkannten wir an der Beule auf seiner Stirn.
Die Männer in Grau sprachen uns nicht an, das überließen sie ihrem menschlichen Trumpf. Sie flüsterte ihm etwas zu und lockerten zudem die Griffe ein wenig, sodass er sich etwas bequemer hinstellen konnte und nicht mehr den Kopf zu verdrehen brauchte, wenn er uns anschaute.
»Ihr sollt auf mich hören…«
Ich nickte. »Gut, Mr. Lester, reden Sie.«
»Es ist ganz einfach«, brachte er keuchend hervor. »Nur ein Austausch. Der Kopf gegen mich.«
»Nur der Kopf?«
»Das weiß ich nicht.«
Suko mischte sich ein. »Damit haben wir nichts zu tun. Es ist allein seine Sache, ob er sich darauf einlässt oder nicht.« Suko deutete dabei auf den Zwerg.
Seine Taktik war gut. Natürlich würden wir uns nicht zurückziehen, aber wir mussten die Lage entschärfen, denn wir wussten verdammt genau, wie gefährlich die Männer in Grau waren.
Burt Lester schüttelte den Kopf. »Nein, bitte. Er wird ihn nicht hergeben.«
»Fragen Sie ihn!«
Der Holzfäller traute sich nicht. Er druckst herum. Er kämpfte zudem mit sich.
Wir wollten sein Leid und seine Angst nicht noch erhöhen, und deshalb wandte ich mich an den Zwerg.
»Du hast gehört, was verlangt wird. Bist du bereit, den Schädel deines Bruders abzugeben?«
Er schüttelte heftig den Kopf.
Das hatte ich mir gedacht, aber ich gab nicht auf. »Es geht um das Leben eines Menschen.«
»Das ist mir egal. Ich habe so lange nach dem Kopf meines Bruders gesucht. Ich werde ihn zurück nach Aibon bringen.«
»Glaubst du denn, dass man dich einfach gehen lassen wird?« Ich deutete auf die Männer in Grau. »Ich kenne sie. Was sie sich in
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