1411 - Vampirehre
überblickte einen Teil des Bahnhofsvorplatzes. Auch dort trieb der dünne Dunst über den Boden und sah an manchen Stellen so aus, als hätte er sich regelrecht festgekrallt.
Sie trat vor die Tür. Beobachtet wurde sie nicht. Es hatte auch kein Zug gehalten, der irgendwelche Passagiere entlassen hätte. Alles kam ihr vor wie die Ruhe vor dem Sturm, der sicherlich in der folgenden Nacht noch losbrechen würde.
Die blonde Bestie ging einige Schritte nach vorn und stoppte dann.
Da sie sich im Haus keine Gedanken darüber gemacht hatte, wohin sie hingehen wollte, musste sie sich jetzt entscheiden, und sie schnickte locker mit den Fingern, als sie sich darüber klar geworden war.
Es war für sie sehr wichtig, die drei Blut-Schwestern zu fassen, aber auch sie waren keine heurigen Hasen. Sie wussten, wer ihnen als Gegnerin gegenüberstand, und sie würden sich natürlich entsprechend verhalten.
Wo hielten sie sich versteckt?
Justine dachte an zahlreiche Orte, die es hier in der Umgebung auch gab, aber ein Ort kam als Versteck des Vampir-Trios wohl kaum in Frage: die alte Blockhütte am See. Das wäre zu einfach gewesen. Da hatte sie Dracula II getroffen, auf dessen Befehl Dolores, Mira und Roxy hörten. Er hatte sie sich perfekt herangezüchtet und sie praktisch in seinem Sinne diszipliniert.
Der Blick in den Ort verriet Justine ebenfalls nichts. Der Dunst schwebte auch dort, und von ihrem Standort aus sah sie nur einige wenige Häuser. Aber dort lebte der zwölfjährige Linus Hill. Ein Junge, dem sie beigestanden hatte und der jetzt sicherlich auf der Liste der drei Blutsaugerinnen stand.
Das passte ihr nicht.
Sie hatte Linus zwar nicht ins Herz geschlossen, aber sie wollte nicht, dass ihre Feindinnen das Blut des Jungen tranken und sich daran stärkten.
Es gab also ein Ziel für sie. Wenn sie das Haus der Hills im Auge behielt, brauchte sie nur zu warten, bis ihre Feindinnen eintrafen.
Dann würde sie zuschlagen. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn die drei zugleich erschienen wären. Dann hätte sie in einem Aufwasch so einiges erledigen können.
Zunächst einmal musste sie das Ziel erreichen. Justine bewegte sich zu Fuß. Sie hätte auch das Motorrad nehmen können, aber das wäre zu auffällig gewesen.
Sie wusste selbst, dass sie auf Grund ihres Aussehens auffiel. Sogar in London drehte man sich nach ihr um, aber dort war sie unter all den bunten Vögeln auch rasch wieder vergessen. Das würde hier nicht so sein, und deshalb bewegte sich die Blutsaugerin auch nicht offen auf der Straßen. Sie nutzte den dünnen Schutz des Nebels aus und vor allen Dingen die Gruppen der Sträucher und Büsche in den hinteren Gärten.
Allmählich wurde es dunkler. Hinter den Fenstern leuchteten die Lichter, und sie sah, dass auch im Haus der Hills Licht brannte. Sie hatte sich nicht von der Rückseite her genähert, sondern war aus einer Gasse getreten, die dem Haus gegenüberlag. Dort fand sie hinter dem Stamm eines Ahorns Deckung.
Sie wollte schon gehen, als sich die Tür öffnete.
Drei Menschen verließen das Haus. Den Mann in der Uniform sah sie zum ersten Mal. Der Anblick der anderen beiden versetzte ihr zwar nicht eben einen Schock, aber er sorgte für eine tiefe Überraschung, denn gerechnet hatte sie nicht mit Jane Collins und auch nicht mit John Sinclair…
***
Augenblicklich zog sich Justine Cavallo völlig hinter den Baumstamm zurück. Jetzt rasten die Gedanken durch ihren Kopf, aber sie beschäftigten sich nicht mit Jane Collins oder Sinclair. Die Cavallo stellte sich selbst einige Fragen und forschte nach, was sie denn falsch gemacht hatte. Sie musste einen Hinweis hinterlassen haben, sonst hätten die beiden nicht ihre Spur gefunden, sondern wären in London geblieben.
Oder war es ein Zufall?
Nein, daran wollte und konnte sie nicht glauben. Für sie gab es keine Zufälle. Ihr Erscheinen musste einen Grund haben. Möglicherweise steckte sogar Dracula II dahinter, weil er irgendeinen Fehler begangen oder sich überschätzt hatte.
Auf keinen Fall wollte sich die blonde Bestie zeigen, und so wartete sie zunächst ab, wie sich Jane und John verhielten.
Sie gaben sich völlig normal. Nichts wies darauf hin, dass sie Verdacht geschöpft hatten. Sie unterhielten sich mit dem Uniformierten, der auf Justine Cavallo einen nicht eben sicherem Eindruck machte.
Sie konnte sich gut vorstellen, dass in der Zeit, die sie geschlafen hatte, einiges passiert war. Jetzt ärgerte sie sich darüber, denn sie
Weitere Kostenlose Bücher