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wichtig.»
Urs Bless führt mich durch die Basis, zeigt mir den ausgeklügelten «Tribag», einen dreiteiligen Rucksack mit medizinischen und rettungstechnischen Geräten. Im Hangar glänzt der AgustaWestland Da Vinci. Die St. Galler Crew war die erste, die im Oktober 2009 mit dem Gebirgshelikopter abhob. Ein Rieseninsekt, dreizehn Meter lang, ein Rotor von elf Meter Durchmesser. Fliegt 260 Kilometer in der Stunde. Mit drehbarem Sitz für den Arzt. Der Patient wird auf einer Vakuummatratze «anmodelliert». «Fixation ist die beste Schmerzbehandlung.» Urs Bless reicht mir im abgedunkelten Raum das Nachtsichtgerät (NVG), einen sogenannten Restlichtverstärker. Auf dem grünlichen Bild sind Hindernisse, Verkehrswege, Wolken, Geländeformen mehr oder weniger deutlich erkennbar. Ein Einsatz mit dem Gerät wird jedoch nur geflogen, wenn der Flug auch ohne dieses möglich wäre: «Bei einem Defekt des Hilfsmittels muss der Pilot ja trotzdem weiterfliegen können.»
Zum Schluss bekomme ich das Horizontalnetz vorgeführt. Es wird vor allem zur Bergung von Rückenverletzten eingesetzt, ist leicht unter dem Körper durchzuziehen und so klein, dass es zusammengefaltet mit zwei Händen zu umfassen ist. Die Pikettärztin im Hangar zieht das Netz über Kopf und Füssen der «Patientin» stramm, hängt alle Tragleinen der Reihe nach in den Karabiner ein, nimmt die linken und rechten derselben Farbe zusammen und zählt laut von eins bis zehn. Fertig! Mit dem Rettungssanitäter im Helikopter verständigt sie sich durch Handzeichen, «damit wir möglichst wenig funken müssen».
Bis sechzig darf Urs Bless als Rettungssanitäter arbeiten. «Die Fähigkeit, aufmerksam genug, schnell genug reagieren und entscheiden zu können, nimmt ab.» Er wird mit 58 in Pension gehen, Ende 2012. Seine Frau, einiges jünger und in leitender Position im Kantonsspital St. Gallen, wird ihr Pensum aufstocken. Er freut sich auf die Zeit als Hausmann, auf die Zeit mit den Töchtern, jetzt sechs und acht Jahre alt.
Urs Bless , 1954 in Flums (SG) geboren und aufgewachsen. Landmaschinenmechaniker. Betriebsmechaniker Flumserberg-Bahnen, Pistenpatrouilleur. Gastwirt. 1988 bis 1991 Ausbildung zum Krankenpfleger AKP. 1991 bis 1992 Krankenpfleger Kantonsspital St.Gallen. 1993 bis 1996 Ausbildung zum Rettungssanitäter und Mitarbeiter beim Rettungsdienst Grabs. 1996 bis 1999 Rettungssanitäter im Rettungsdienst Kantonsspital St.Gallen. Rega: Rettungssanitäter seit 1994, erst nebenamtlich, ab 1999 zu sechzig Prozent, seit 2002 hundert Prozent. Vizepräsident Verein Schweizerische Rettungsflugwacht.
Siehe Porträt Eveline Winterberger
«Für viele bin ich einfach die Rega-Frau»
Cristina Monticelli, Patientenbetreuerin
Cristina Monticelli, Leiterin des Sozialdienstes,
zuständig für Kriseninterventionen
Sie weint rasch – und lacht viel. Cristina Monticelli erlebt Unfälle und Katastrophen hautnah. Klopft an Spitaltüren im Namen der Rega, wie kürzlich in Chur, wo sie seit zwanzig Jahren ein und aus geht. Ein Vierzehnjähriger lag auf der Intensivstation. Ohne Rega hätte er nicht überlebt. «Der Bub lag im Koma, die Mutter umarmte mich, wir bangten gemeinsam um das Kind.» Eine Gruppe Jugendlicher war in Sedrun auf einen Hügel gestiegen, um ihr Lagerhaus zu fotografieren. Der Bub rutschte aus und stürzte zwanzig Meter über einen Felsen.
Für Spitalbesuche wendet Cristina Monticelli die Hälfte ihrer Arbeitszeit auf. «Ich höre zu, überlege mir, wie zu helfen wäre, vermittle den Kontakt zur Crew oder zu Behörden. Ich begegne allen Schichten, Nationalitäten, jedem Alter. Ein Traumberuf, extrem bereichernd. Ich kann meine soziale Ader ausleben; es ist Berufung – ohne Helfersyndrom. Es braucht Intuition, Einfühlungsvermögen – und dennoch muss ich auf dem Boden bleiben.»
Auch bei Hausbesuchen – nach einem plötzlichen Kindstod beispielsweise. «Dann bin ich dort und weine mit der Mutter, überwältigt von dem Schicksal, erhole mich wieder und kann dann wirklich zuhören, helfen. Vor ein paar Jahren geriet ein Mädchen unter einen Lastwagen und starb vor den Augen der zwölfjährigen Schwester. Ich begleitete die Familie von der Unfallstelle nach Hause. Die Schwester wollte sich einschliessen, da wusste ich, sie braucht professionelle Hilfe, und bat eine Notfallpsychologin dazu.»
Cristina Monticelli ist auch für Rega-Mitarbeiter und ihre Angehörigen da. Sie hat manches Unglück erlebt: Piloten, die abstürzten, der Arzt, der in einer
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