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in Bern, finanzierte sich mit der Arbeit in Apotheken das Studium, profitierte zudem von den Erfahrungen mit Patienten und Mitarbeitern. Sie spezialisierte sich auf Anästhesie und Notfallmedizin. «Vorausdenken, über das grüne Tuch schauen, das macht den guten Anästhesisten aus.»
Als Assistenzärztin im Kantonsspital Luzern rückte sie zweieinhalb Jahre mit der Ambulanz aus. Sie versteht, wenn Ambulanzleute oder Pistenpatrouilleure die Rega-Crew als Profiteure betrachten. «Sie verarzten den Patienten, haben die Unordnung, das Blut. Wir kommen, machen einen Riesenkrach, benutzen oft noch ihr Material und fliegen weg. Es liegt an uns, das Verhältnis zu pflegen, uns zu bedanken, die Diagnose weiterzuleiten. Nicht einfach, in der Hast auf dem Unfallplatz und mit wechselnden Crews.»
Es gibt Spitäler mit einer Art Rotationsstelle, die ihre Ärzte ein halbes Jahr auf eine Rega-Basis delegieren. Ein längeres Vollpensum empfiehlt sich nicht, auch Rega-Chefarzt Roland Albrecht arbeitet einen Tag pro Woche im Spital, um die Praxis nicht zu verlieren. Eveline Winterberger wollte auf eine Basis im Gebirge. Wilderswil fliegt anspruchsvolle Einsätze bis auf die höchsten Gipfel. Kann der Heli nicht landen, ist sie allein. Diese medizinische Herausforderung sucht sie: «Als Erste beim Patienten sein, allein entscheiden müssen, improvisieren vielleicht, mit Angehörigen, einem Bergführer.» Von der Kollegin auf dem Jet unterscheidet sie viel. Im Gegensatz zur detailliert vorbereiteten Repatriierung bleiben ihr meist nur wenige Minuten, die Informationen sind rudimentär, die Zeit mit dem Patienten kürzer, aber intensiver.
Nach neun Rega-Monaten engagierte sich die Ärztin je fünfzig Prozent für Rega und Spital. Nach zwei Jahren reduzierte sie auf dreissig Prozent Rega. «Weniger geht nicht; man muss in Übung bleiben. Ich möchte nicht vom Rettungssanitäter abhängig sein. In schwierigen Wetterverhältnissen assistiert er dem Piloten, ich muss die Geräte allein einstellen können. Apropos Geräte: Unser medizinisches Material ist erstklassig. Das Abfluggewicht wird auch immer höher. Vielleicht müssten wir uns wieder befreien von diesem Perfektionismus.»
Und die Handys? «Segen und Fluch.» Einerseits müssen Patienten nicht herumliegen, bis sie jemand vermisst; die Retter können zurückfragen, Anweisungen geben: «Halt dich fest, pack alles ein, der Heli macht extrem viel Wind!» Anderseits irritiere das ständige Fotografieren – gar, wenn verletzte Patienten verlangen: «Du, gib mir mal das Handy…»
Sie erinnert sich an eine anspruchsvolle Klettertour, Bockmattli Nord – ohne Handy. September 1991. «Zwei Rega-Piloten stiegen dieselbe Route auf wie mein Kollege und ich. Es dunkelte, als wir oben waren. Eine schöne Nacht. Wir hätten biwakieren müssen. ‹Meine Frau dreht durch›, sagte der eine Pilot. ‹Meine Mutter dreht durch›, sagte ich. Nur mein Kollege war unbesorgt. Wir stiegen ab. Ohne Taschenlampe. Um ein Uhr nachts waren wir unten. Das ist heute komfortabler. Manchmal frage ich mich schon, weshalb die Leute erst anrufen, wenn es dunkel ist; sie sehen doch, dass sie es nicht schaffen. In anderen Ländern fliegt der Helikopter nachts nicht.»
Eveline Winterberger, eine Pionierin, hat 2001 bis 2010 die medizinische Ausbildung innerhalb der Alpinen Rettung Schweiz (ARS) aufgebaut – ehrenamtlich. Früher gab es im SAC eine Rettungskommission mit verschiedenen Bereichsleitern. Sie übernahm die Leitung Medizin. Arbeit und Vernetzungen weiteten sich aus, etwa in der Internationalen Kommission für alpines Rettungswesen IKAR. Der zweite Schritt zur Professionalisierung: SAC und Rega gründeten 2005 die Stiftung Alpine Rettung Schweiz. Winterberger trug viel Verantwortung, ohne angestellt zu sein – und plädierte für einen Chefarzt. Da die ARS ohnehin im Rega-Center sitzt, übernahm der Rega-Chefarzt die Aufgabe.
Winterbergers Hauptanliegen: Die Retter sollen medizinisch etwas ausrichten können, auch ohne Arzt vor Ort – und sie sollen immer einen Arzt anrufen können. Wichtig ist eine genaue Anamnese, eine einheitliche Sprache: «Wie gebe ich meine Diagnose an die Rega-Einsatzzentrale weiter?» Schliesslich: Unterkühlte dürfen nicht aufgegeben werden. «Atmung und Herzaktivität verlangsamen bis zum Stillstand; das Hirn bleibt durch die Unterkühlung vor Schaden geschützt. An Ostern 2008 harrte in der Ostschweiz ein Ehepaar eine Nacht bei Schneefall im Freien aus. Die Frau atmete
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