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1414

1414

Titel: 1414 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Schläpfer
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sich ohne gesundheitliche Folgen.»
    Mitte Dezember 2011. Urs Bless empfängt mich morgens um neun auf der Basis St. Gallen. Entspannt. Am Vortag ist er um halb sechs Uhr abends vom letzten Einsatz zurückgekehrt. Die Nacht war ruhig. Der 48-Stunden-Dienst ist zu Ende; es warten vier freie Tage. «Es gibt schon turbulente Nächte: Verlegungsflüge. Verkehrsunfälle auf eisglatten Strassen.» Das Einsatzgebiet umfasst die Kantone St.Gallen, Thurgau, beide Appenzell sowie das Fürstentum Liechtenstein. Es reicht von Kreuzlingen bis zum Rheintal und vom Bodensee bis zu den Churfirsten. «In rund zehn Minuten Flugzeit ab Basis erreichen wir jeden Ort des primären Einsatzgebiets. Ab und zu rufen uns auch die benachbarten deutschen oder österreichischen Leitstellen.»
    Vier festangestellte Piloten und drei Rettungssanitäter wechseln sich ab. Die Ärzte, meist vier bis sechs Monate auf der Basis, delegiert das Kantonsspital St.Gallen. Zu dritt im Dienst, putzen sie den Heli, mähen Rasen, schaufeln Schnee, kochen. Zweimal wöchentlich bringt eine Putzfrau den Haushalt in Ordnung.
    Die Basis, 1984 noch am Rand der Landwirtschaftszone, liegt heute mitten im Industriequartier. Hinten Hochspannungsleitung und Wald, vorne die Eisenbahn. Die gesetzlichen Vorschriften erzwingen einen Umzug.
    Urs Bless, in einem kleinen Bauernbetrieb auf 1200 Metern in den Flumserbergen aufgewachsen, lernte Landmaschinenmechaniker – arbeitete als Betriebsmechaniker und Pistenpatrouilleur bei den Flumserberg-Bahnen, war Mitarbeiter im Pistenrettungsdienst. Wirt in einem Berggasthaus. 1988 wollte er den Rettungsdienst zum Hauptberuf machen und bewarb sich bei diversen Spitalrettungsdiensten – erfolglos. Was nun? Die Ausbildung zum Krankenpfleger. 1994 wurde Bless nebenamtlicher Rettungssanitäter auf der Rega-Basis St.Gallen. Das «Fernziel» war erreicht.
    Ist der Rettungssanitäter nicht unterfordert, wenn bei jedem Einsatz ein Notarzt dabei ist? «Wer medizinische Einsätze in eigener Regie leisten will, muss nicht zur Rega. Mich aber interessiert genau diese Zwitterfunktion, der Allrounder-Job. Der Rettungssanitäter muss beweglich sein, sich in Ärzte und Piloten einfühlen können.» Im Cockpit unterstützt er den Piloten, überwacht Luftraum und Bordinstrumente, bedient Navigationsgeräte, Funkgerät, die Rettungswinde. Am Unfallplatz hilft er dem Arzt. Auf der Basis kontrolliert er Helikopter- und Material. «Vermutlich haben wir den interessantesten Job bei der Rega. Die Arbeit ist vielseitig und spannend. Jährlich werden unsere Kenntnisse geprüft: Medikamente, medizinische Geräte, Krankheits- und Unfallbilder, Arbeiten am und im Helikopter. Die Verantwortung für den Patienten trägt letztlich der Notarzt, die fliegerische, operationelle Verantwortung der Pilot.»
    Was passiert mit Patienten, die keine Lebensrettung wollen? «Ruft man uns, erwartet jemand Hilfe. Da handeln wir erst einmal. Wir wagen uns nicht in Grauzonen. Sprechen weitere Erkenntnisse und Informationen wirklich gegen die Weiterführung der Reanimation – etwa eine schwere Krankheit oder der klare Wunsch des Patienten –, ist das zu respektieren. Zeigt ein Patient aber wieder Lebenszeichen, bringen wir ihn in eine Klinik. Wir sind ein Rettungsdienst und versuchen, jeden Auftrag zur Zufriedenheit des Patienten auszuführen. Erweist sich im Nachhinein ein Einsatz als überflüssig, ist zu bedenken, dass die Abklärung manchmal schwierig ist; die Einsatzzentrale in Zürich muss aufgrund telefonischer Angaben entscheiden. Wir hingegen kennen Örtlichkeit, Gelände, Wetter. Es darf zum Beispiel nicht sein, dass jemand eine Herz-Kreislauf-Attacke überlebt, wir aber die heftigen Sturmwinde nicht beachten und der Patient während des Fluges vor Angst fast stirbt …»
    Für Leute, die mutwillig das Schicksal herausfordern, hat Urs Bless kein Verständnis. Nicht für die zwei Autofahrer, beide mit Frau und Kindern im Auto, die sich ein Rennen lieferten, bis es krachte und ein Unschuldiger sein Leben verlor. «Manchmal frage ich mich, was all die Wetter-, Schnee- und Lawinenberichte, Warntafeln und Absperrungen nützen, wenn von Anfang bis Ende des Winters immer wieder Menschen verschüttet werden. Lernt man denn nichts aus dem Unglück anderer?» Wie verarbeitet er einen seelisch belastenden Einsatz? «Was passiert ist, können wir nicht ändern. Aber die eigene Arbeit überprüfen. Handelten wir richtig? Machten wir Fehler? Welche? Diese Analyse ist für mich sehr

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