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nicht mehr, es war kein Puls ertastbar, ihre Pupillen waren weit. Man brachte sie unter Reanimation ins Spital, wo sie aufgewärmt wurde. Herzaktion, Atmung, Hirnfunktion, alles kam zurück. In Norwegen wurde eine junge Frau mit 13,7 Grad Celsius Körperkerntemperatur (tief unten in der Speiseröhre gemessen) wieder aufgewärmt, sie arbeitet heute als Ärztin. Die Extremitäten können noch einiges kälter sein und für Laien wie eine Totenstarre erscheinen. Ein Unterkühlter ist so lange nicht tot, bis er warm ist und dann die Diagnose tot gestellt wird.»
Eveline Winterberger organisierte eine schweizerisch einheitliche Ausbildung. Liess die Reanimationskurse zertifizieren (Basic Life Support), und so wurden jährlich zwei- bis dreihundert Retter BLS instruiert. Sie stellte Weiterbildungen für die Ärzte der Rettungsstationen zusammen, damit diese wiederum die Retter schulen konnten. Ein Paradebeispiel: «Der Gast einer Bergführerin stürzte ab, die Rega konnte nicht fliegen. ‹Check es durch, wie du es gelernt hast›, sagte ich ihr am Telefon. ‹Der Fuss ist nicht durchblutet und fehl gestellt.› – ‹Also›, sagte ich, ‹du renkst den Fuss jetzt wieder ein.› Die Bergführerin: ‹Das kann ich nicht, ich falle in Ohnmacht.› – ‹Machst du es nicht, kann man den Fuss in zehn Stunden nur noch amputieren.› Es wurde ruhig. ‹Ich ruf dich wieder an.› Sie meldete sich: ‹Der Fuss ist jetzt gerade, auch wieder durchblutet, dem Patienten geht es besser…›»
Eveline Winterberger , 1968 geboren, aufgewachsen in Zürich. Studium der Pharmazie an der ETH Zürich, dann Medizin an der Universität Bern. 1996 Diplom als Ärztin, 2002 FMH Anästhesiologie, Notärztin Schweizerische Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin (SGNOR). 2002 bis 2007 Inselspital Bern (Anästhesie), seit 2007 Kantonsspital Luzern (Anästhesie). Rega: 2002 neun Monate auf der Einsatzbasis Berner Oberland, seit 2003 arbeitet sie dort dreissig Prozent.
Siehe Porträt Urs Bless, Seite 124
«Wir haben den interessantesten
Job bei der Rega»
Urs Bless, Rettungssanitäter
Der Allrounder Urs Bless,
seit 1994 auf der Basis St.Gallen
Den Badeunfall sieht er noch vor sich. «Ein Vater, mit seinen zwei Kindern im Schwimmbad, wollte nach Hause, realisierte in der Umkleidekabine, dass ein Kind fehlt, ging zurück, sah es auf dem Grund des Bassins, holte es raus und begann sofort zu reanimieren. Als wir dazukamen, war das Kind bereits erwacht. Das Gesicht des Vaters werde ich nie vergessen, als wir ihm sagten: ‹Sie haben Ihrem Kind das Leben gerettet.›»
Urs Bless erzählt gern von Einsätzen, die glimpflich ausgingen – oder gar glücklich endeten. Die Geschichte des Mädchens, das vom Sessellift rutschte und vierzehn Meter tief auf die Skipiste fiel. «Es war wach, schien unverletzt. Ich traute der Sache nicht, beobachtete es, bis es sagte: ‹Du musst keine Angst haben, mir tut nichts weh.› So war es. Das sind die schönen Seiten meines Berufs.»
Das erheiternde Erlebnis im Alpstein gehört dazu. «Ein junges Paar war Richtung Altmannsattel aufgestiegen, bis die Frau Angst bekam und sich weigerte, weiterzugehen. Wir setzten einen Bergführer-Rettungsspezialisten mit der Winde bei der Frau ab. Sie sei nervös, funkte er, aber der Transport sollte klappen. Wir flogen die beiden von der Flanke weg über die Meglisalp zum Rotsteinpass, wo wir die Aktion vorbereitet hatten, wo auch die Ärztin wartete – und hörten sogar im laufenden Heli die Frau kreischen. Nach der Landung fragte sie als Erstes, ob sie jetzt eine Zigarette rauchen dürfe.»
Ernst war die Rettung am Ostersonntag 2008. «Morgens um sieben Uhr der Alarm: Ein verirrtes Paar, nicht winterfest gekleidet, war die Nacht über im tiefen Schnee draussen gewesen und hatte versucht, sich warm zu halten. Gegen Morgen realisierte der Mann den schlechten Zustand seiner Frau, versuchte erst, sie ins Tal zu bringen, liess sie dann liegen, um Hilfe zu holen. Der Morgen war strahlend. Wir fanden die Frau im Schnee – eine Tote auf den ersten Blick. Keine Atmung, keine Herztätigkeit, Körpertemperatur um zwanzig Grad. Aber Hautfarbe, Augen und Pupillen waren nicht die einer Toten. Wir luden sie ein und flogen nach Zürich. Im Unterschied zu Patienten mit Herzstillstand, die sofort reanimiert werden müssen, wird eine unterkühlte Person erst geborgen, damit sie dann ohne Unterbruch reanimiert werden kann. Im Universitätsspital wurde die Frau aufgewärmt und erholte
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