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Fallschirmschule jener Zeit, zur Royal Air Force im britischen Abingdon. Kurioserweise verlangte das Eidgenössische Luftamt eine einheimische Prüfung. Neuland für die Schweizer «Experten». «In ihrer Verlegenheit zogen sie einen Kreis von dreissig Meter Durchmesser. In diesen mussten wir springen – und hatten das Brevet. Als wir um die Bewilligung für ein erstes Übungsspringen am Jungfraujoch ersuchten, winkte das Luftamt ab: viel zu gefährlich in dieser dünnen Luft; ihr werdet runterfallen wie Steine. Sie hatten keine Ahnung. Wir mussten erst eine achtzig Kilo schwere Puppe am Schirm abwerfen. Das Luftamt stoppte die Zeit – und nickte.»
Der nächste Schritt? Abspringen mit Lawinenhunden. Brauchte ebenfalls eine Bewilligung. «Wir konstruierten eine Kiste mit Doppelboden, eine Vorrichtung, welche die Kiste beim Aufprall löste – und warfen Kiste samt Hund hinaus. Der Fallschirm öffnete sich – ein Windstoss fuhr hinein, die Kiste klinkte aus und stürzte ab. Der Hund war tot – der Tierschutzverein alarmiert. Wir versuchten es anders: Erst sprang der Hundeführer, ein paar Meter hinter ihm hing der Hund an einem zweiten Fallschirm. Auch das klappte nicht. Das Tier war verstört, desorientiert, untauglich für den sofortigen Einsatz. Sind wir in England nicht mit achtzig Kilo Gepäck abgesprungen? Wir schnallten die Hunde vor die Brust der Hundeführer. Sie sprangen zusammen ab, das wirkte beruhigend – und funktionierte.»
Braucht ein Fallschirmspringer Mut? «Vertrauen zum Fallschirm und Können vor allem.» Odermatt zählt 250 Rettungs- und Demonstrationssprünge. Verletzt hat er sich nie, obwohl selten eine weiche Wiese wartete. Mal landete er in einer breiten Gletscherspalte, mal auf einer Geröllhalde, einem Hausdach, im Zürichsee. Die Fallschirmspringer mussten selber dafür sorgen, in Übung zu bleiben. «Für notwendige Trainingssprünge hatte die Rettungsflugwacht kein Geld. Wir, meist verheiratete Männer, sprangen einmal ein Jahr lang, ohne versichert zu sein. Was als Versicherungsprämie verbucht war, ist anderweitig eingesetzt worden…» Für Ausbildungen und Einsätze nahm Odermatt Proviant mit, bezahlte Reisen und Unterkunft selbst. Ab und zu wurde das Essen spendiert. «Das ging viele Jahre so. Es war eine Ehre, für die Rettungsflugwacht tätig zu sein.» Im März 1955 organisierte die SRFW eine erste Demonstration und Sammelaktion in Zürich. «Wir rüsteten eine DC-Maschine der Swissair um, für Massenabsprünge – vierzehn Fallschirmspringer nacheinander. Eine Sensation. Der See war sieben Grad kalt.»
1960 war Schluss mit Springen. Helikopter lösten die Fallschirmer ab. Walter Odermatt, Sanitätsinstruktor beim Militär, wurde Flughelfer, Vorläufer des Rettungssanitäters, dritter Retter neben Pilot und Arzt. Er kontrollierte die medizinischen Geräte, konnte den Patienten richtig lagern, eine Infusion machen, reanimieren, auch mal intubieren. Während des Flugs assistierte er dem Piloten, kommunizierte mit der Einsatzleitung. Ab 1965 engagierte er sich als technischer Rega-Instruktor: «Wie bewegt man sich im Heli? Wie bedient man die Rettungswinde? Und so weiter. Damals war die Ausbildung für den Rettungshelikopter Sache des Vereins SRFW.»
Sanitätsinstruktor von Beruf, Rettungsflughelfer aus Berufung, Engagement im Schweizer Alpen-Club (SAC) mit Tourenleiter- und Bergführer-Kursen – der rote Faden in Odermatts Leben. Vom Eidgenössischen Militärdepartement erhielt er Zeit für Ausbildung und Rettungseinsätze. Zusammen mit dem SAC publizierte er 1981 die Broschüre «Erste Hilfe im Gebirge», obligatorisches Lehrmittel – in fünf Sprachen übersetzt, unter anderem Holländisch und Serbokroatisch. In den Anfängen der Rettungsflugwacht waren Bergführer und Bergretter medizinisch kaum ausgebildet. «Als Regel galt: Den Verletzten möglichst schnell ins Spital oder zum Arzt bringen. Oft starben die Patienten unterwegs. Erst Fritz Bühler führte Erste Hilfe an Ort und Stelle ein. Er verstand die Rega als verlängerten Arm des Spitals.»
1982 machte Odermatt sich an der Bundeswehr-Akademie in München mit der Tauchmedizin vertraut. Bei einem Unfall im Bodensee konnte er seine Kenntnisse gleich anwenden. «Eine Helirettung. Der Pilot wollte über die Allgäuer Alpen fliegen. Wegen weiterer Dekompressionsgefahr riet ich ihm, so tief wie möglich zu fliegen, selbst wenn er stundenlange Umwege machen und eventuell mal tanken müsse.»
Anfang der Achtzigerjahre
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