1414

verunfallte ein Schweizer beim Tauchen auf der Insel Elba und wurde per Boot nach Porto Santo Stefano auf dem italienischen Festland gebracht. Spezialist Odermatt begleitete die Repatriierungs-Crew im Learjet. «Meines Wissens der erste Rega-Einsatz dieser Art; damals verstand man noch wenig von Tauchmedizin. Wir wurden von bewaffneten Soldaten auf dem Militärflugplatz Grosseto empfangen und mit der Militärambulanz nach Porto Santo Stefano gefahren. Im Hafen lag ein Marineboot der Armee. Ich staunte: Der Patient wurde bereits in einer Dekompressionskammer (kontrollierte Verminderung des Drucks zur Verhinderung der Dekompressionskrankheit) bestens behandelt. Eine Rückführung wäre medizinisch fatal gewesen; der Learjet konnte Druck geben auf die Kabine, aber eine eigentliche Dekompression war nicht möglich. Ich entschied, ohne Patient zurückzufliegen. Die Blicke des Piloten sagten alles: Eine Rückkehr ohne Patient hatte es noch nie gegeben. Im Rega-Center reagierte man ähnlich, doch mein Lehrmeister Professor Dr. med. Albert Bühlmann unterstützte meinen Entscheid. Heute ist die Druckkammer nicht mehr erstes Gebot, man arbeitet mit Medikamenten und Sauerstoff.»
    Seine erste Repatriierung führte Odermatt 1962 nach Frankfurt. «Wir holten einen Herzpatienten. Der Pilot flog aber zuerst über den gefrorenen Zürichsee. Das ‹Volksfest› wirkte aus der Vogelperspektive wie Ameisengewimmel.»
    Auch die Repatriierung eines Gefangenen wird er nicht vergessen. Ein junger Mann sass wegen Alkohol- und Drogenproblemen und massiven Schulden in Heraklion auf Kreta im Gefängnis. Der besorgte Vater bat die Rega, den Sohn nach Hause zu holen; er werde freigelassen, wenn jemand die Schulden begleiche und ihn persönlich abhole. «Mit einer Krankenschwester flog ich per Linienflug nach Kreta. ‹Der Patient› besass weder Kleider, Schuhe noch Pass. Wir mussten den Rückflug um einen Tag verschieben und in der Schweizer Botschaft in Athen einen Pass beschaffen, der versehentlich dem jungen Mann persönlich ausgehändigt wurde. Vor dem Abflug sassen wir bei einem Imbiss. Der Mann wollte angeblich zur Toilette, flüchtete aber Richtung Ausgang, wo ich ihn im letzten Moment erwischte.»
    Walter Odermatt erinnert sich, dass die Deutsche Rettungsflugwacht medizinisch komplizierte Fälle gern der Rega überliess. An die Episode in Warschau während des Kalten Krieges, als die Behörden hinter dem Militärsanitätsinstruktor Odermatt einen Spion vermuteten. 1974 nahm Odermatt am ersten Einsatz des Schweizer Katastrophenhilfekorps (heute Schweizerisches Korps für humanitäre Hilfe) teil: Er engagierte sich drei Monate in der Sahelzone; im Tschad herrschte Hungersnot. Später half er bei diversen Erdbeben: in der Osttürkei (1975), Norditalien (1976), Rumänien (1977), Algerien (1980), Armenien (1988).
    Er hat auch ein paar interne «Erdbeben» erlebt: Machtkämpfe zwischen Rudolf Bucher und Fritz Bühler. Zwischen Fritz Bühler und seinen Kaderleuten. Den Zwist mit Hermann Geiger. Die Umwandlung des Vereins in eine Stiftung. Den Aufstand der Piloten gegen Geschäftsführer Christian Bühler. Vor allem die Stiftung gab zu reden und zu streiten. «Der Einfluss des Vereins wurde massiv gestutzt. Es gab enttäuschte Mitglieder, sie sahen sich zum Fanklub degradiert.» Odermatt sieht es freundlicher: «Die Stiftung war sinnvoll, und die Rega unterstützte den Verein mit ein paar Tausend Franken jährlich, damit wir, nur zum Beispiel, das Buch ‹Zur Geschichte der Schweizerischen Rettungsflugwacht bis 1979› publizieren konnten. Der Verein funktioniert heute als Hilfsorganisation der Rega mit über 450 älteren, aber auch berufstätigen Mitgliedern, mit zahlreichen Fachleuten wie Höhlenspezialisten und Lawinenhundeführern. Er kann vier der zwölf Stiftungsräte wählen; der Präsident ist automatisch im Stiftungsrat.»
    Obmann der Rega-Pioniergruppe, erinnert sich Odermatt gern an die zweijährlichen Veteranen-Treffen am Rega-Geburtstag. «2011 hat uns der höchste Chef empfangen. Der Kohler Ernst begrüsste uns als Kollegen, als Pioniere. Er sei stolz auf uns. In den letzten zwei Jahren sind leider acht Kameraden verstorben, wir sind nur noch 23.»
    Walter Odermatt , 1928 in Stans geboren. 1946 bis 1958 zuerst Lehre als Postbeamter, dann in verschiedenen Funktionen tätig. 1958 bis 1960 Instruktorenschule VBS. 1960 bis 1987 Sanitätsinstruktor (Adj Uof). Rega: Gründungsmitglied in Twann 1952. 1954 Fallschirmausbildung bei der