1416 - Blutrausch
gerissen hatte. Es konnte das Geräusch des brechenden Glases gewesen sein. Möglicherweise auch ein Urinstinkt, und letztendlich war es egal, was sie hatte erwachen lassen.
Jedenfalls hielt sie die Augen offen, starrte in die Höhe und direkt in Mareks Gesicht.
Es war, als wäre die Zeit angehalten worden. In den folgenden Sekunden passierte nichts. Es gab nur dieses Starren der beiden so unterschiedlichen Personen. Vera fing auch nicht an zu schreien. Sie schien noch nicht richtig wach zu sein und musste sich erst damit abfinden, dass sie nicht mehr allein in ihrem Zimmer lag.
Marek glotzte sie von oben herab an.
Er hielt die Augen weit offen, er hatte den Mund in die Breite gezogen und seinem Gesicht so den Ausdruck einer Grimasse verliehen.
Hier in Petrila und auch in der unmittelbaren Nähe des Ortes kannte jeder jeden, und so war es kein Wunder, dass die Frau den Namen des Eindringlings flüsterte.
»Frantisek?«
»Ja, ich!«
Noch immer liegend schüttelte Vera den Kopf. Es war die einzige Bewegung, die sie schaffte. Sie musste sich weiterhin fassen, erst dann stellte sie die nächste Frage.
»Was willst du hier?«
»Dich!«
»Du bist… verrückt!«
»Nein, das bin ich nicht!«
»Verschwinde!« Allmählich wurde Vera Zanescu wach, und da stemmte sich auch der Widerstand hoch. »Ich liege hier im Bett, alter Mann. Wenn du deine Gelüste nicht im Zaum halten kannst, dann geh woanders hin, aber nicht zu mir. Klar?«
»Ich will meine Gelüste aber nicht im Zaum halten!«, zischte er der Frau zu.
»Hau ab!«
»Bestimmt nicht!«
Vera Zanescu war es leid. Sie stand als Frau mit ihren drei Kindern mitten im Leben, und sie ließ sich so leicht nicht ins Bockhorn jagen.
Auch von einem alten Mann nicht, der heimlich bei ihr eingedrungen war. Das auf keinen Fall.
Sie bewegte ihren Körper unter der Bettdecke und zog dort auch die Beine an, damit sie Marek von sich stemmen konnte, der schräg auf der Bettkante saß.
Genau das merkte er.
Und das wollte er nicht. Die Scherbe in der rechten Hand hatte die Frau noch nicht gesehen. Als sie das Stück jetzt entdeckte, da war es für sie zu spät.
Plötzlich spürte sie den scharfen Rand an der Kehle und auch den leichten Schmerz, als ihre Haut eingeritzt wurde und die ersten Blutstropfen erschienen.
Es war vorbei mit ihrer Gegenwehr. In diesen Momenten brach eine Welt für sie zusammen. Wäre der Schmerz nicht gewesen, so hätte sie an einen bösen Traum geglaubt. Aber er war nun mal da, und sie konnte nichts dagegen tun.
»Spürst du es, Vera? Spürst du meine Macht?«
Sie wollte sich nicht bewegen, aber sprechen konnte sie und flüsterte deshalb: »Was willst du, verdammt?«
»Ich will dich leer trinken!«
»Nein, das ist…«
»Doch, Vera. Dein Blut gehört mir. Ich habe es bereits gerochen. Ich sehe es auch an deinem Hals. Verstehst du das?«
Er hatte schnell und hektisch gesprochen. So kannte Vera ihn nicht. Auch seine Worte waren ihr völlig fremd. Sie wusste ja, dass er der Pfähler war und die Geschöpfte der Nacht jagte. Aber jetzt war alles umgekehrt.
Oder hatte sie sich verhört?
Ihre Mundwinkel zuckten. Sie wollte etwas sagen, aber es klappte nicht. Irgendetwas steckte in ihrem Hals fest, und sie begriff allmählich, dass Marek keine Scherze trieb.
Er war gekommen, um etwas Böses und für sie unfassbares zu tun, und der scharfe Druck an ihrer Kehle ließ ihren Widerstandswillen zusammenbrechen.
Marek sprach sie wieder an. Jedes Wort zischte er hervor. »Dein Blut… dein Blut will ich haben. Und nichts anderes. Ich trinke es, dann kümmere ich mich um deine Kinder und …«
»Nein, nichts wirst du tun!«
Der Pfähler weidete sich an der Angst der Frau. So hatte er es sich vorgestellt.
Zuerst die Angst des Opfers genießen und anschließend ihr köstliches warmes Blut.
Wenn er jetzt zudrückte, würde er ihr die Schlagader zerschneiden. Noch war er nicht völlig zum Vampir geworden, und irgendwo gab es noch eine innere Stimme, die ihn von seiner Tat abhalten wollte.
Aber die Gier war stärker. Sein Stöhnen wies darauf hin, dass er es tun würde.
Nur der Druck musste verstärkt werden. Die Angst in den Augen der Frau turnte ihn an.
Plötzlich eine Stimme!
»Wenn du es tust, Marek, werde ich dich killen!«
Marek fand sich nicht mehr zurecht. Er fuhr hoch, die Glasscherbe behielt er in der Hand, aber sie bedrohte keine Kehle mehr.
Dafür gab es eine andere Drohung. Sie hatte sich in der offenen Tür aufgebaut und hieß Justine
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