1421 - Totenklage
Nähe platschte und gluckste es immer. Aus einer bestimmten Entfernung klang das Quaken der Frösche leise an seine Ohren. Als würden sie ihn beobachten und darauf hinweisen wollen, dass er noch eine Aufgabe zu erledigen hatte.
Das Boot schwankte leicht, als er die Arme ausstreckte und nach der Leiche griff. Er musste sie nur am unteren Körperende anheben und sie dann über die Bordwand schieben. Alles Weitere würde der Sumpf für ihn erledigen.
»Ab mit dir!«, flüsterte der Killer dem Toten zu, als dieser mit dem Kopf zuerst in die dunkle Brühe tauchte. Tief war der Sumpf nicht, aber gnadenlos.
Manchmal schickte er den Körper noch mal hoch. Sein Untergrund blieb nie gleich. Wenn ein Sturm über das Wasser hinwegbrauste, dann wurde auch der Boden aufgewühlt, und so kam es dort zu gewissen Verschiebungen.
Etwa eine Minute gab er sich Zeit und lauerte darauf, dass die Leiche wieder in die Höhe gedrückt wurde.
Als die Zeit vorbei und nichts passiert war, nickte der Mörder vor sich hin und lobte sich selbst.
»Gut gemacht, alter Junge. Den wird niemand finden, und ich habe mal wieder gewonnen.«
Zwei Hände fassten nach dem Paddel und sorgten dafür, dass sich der alte Kahn drehte.
Der Killer machte sich zufrieden auf den Rückweg…
***
Elena war nicht mehr an ihrem Platz geblieben. Sie hatte sich vorarbeiten müssen, ja, müssen, weil er sie von ihrem Platz regelrecht verscheucht hatte.
Das Boot und die Anlegestelle waren jetzt wichtig. Alles andere musste in den Hintergrund treten. Sie hatte nicht genau gesehen, was da passiert war, doch normal war es nicht. Da hatte sich jemand herangeschlichen und war in das Boot eingestiegen. Mit dem alten Kahn war er in den Sumpf hinausgefahren.
Sie hatte ihn genau beobachten können. Er war ihr vorgekommen wie ein wandelnder Scherenschnitt, der über das Wasser glitt, und auch der Vergleich mit einer Totenbarke war ihr in den Sinn gekommen.
Die Sicht war nicht schlecht. Das Licht des Mondes reichte aus, um auch tiefer in den Sumpf hineinzuschauen. So sah sie, wie der Mann mit dem Boot immer weiter fuhr. Er würde ein Ziel haben, und sie hoffte, dass es nicht zu weit weg lag und sie sich die Stelle merken konnte.
Das Boot und die Oberfläche des Wassers verschwammen leider immer mehr. Bevor sie jedoch eins wurden, stoppte der unheimliche Mann das Boot.
Elena erinnerte sich daran, wie er eingestiegen war. Auch wenn sie weiter entfernt gestanden hatte, war ihr nicht entgangen, dass er nicht allein gewesen war.
Das war auch auf dem Kahn so geblieben, und jetzt, wo er angehalten hatte, wollte er den Ballast loswerden. Es war ein Mensch, und der verschwand im Sumpf.
Elena Davies tat nichts. Auch wenn man sie aufgefordert hätte, es wäre ihr nicht möglich gewesen. Sie war Zeugin beim Verschwinden einer Leiche gewesen, das hatte sie trotz der nicht eben perfekten Sicht mitbekommen.
Noch ein Toter. Auch eine neue Stimme?
Elena wusste es nicht. Sie wartete auf den Klagegesang der Toten.
Sie sah mit leerem Blick über die Fläche hinweg und hatte dabei das Gefühl, ein Teil von ihr zu werden.
Was sie erlebt hatte, das musste sie erst mal verarbeiten. Sie war Zeugin eines Verbrechens geworden, aber sie fühlte sich so fremd an diesem Platz wie ein Außerirdischer. Sie empfand alles als furchtbar und konnte nichts dagegen tun, dass ihre innere Angst für ein plötzliches Zittern sorgte, das schon einem Schüttelfrost glich.
Ihr wurde überdeutlich klar, was sie da gesehen hatte. Jemand hatte einen Toten beseitigt und damit auch alle Spuren gelöscht. Sie hatte einem Mörder zugeschaut, und zu den anderen Toten im Sumpf war jetzt noch einer hinzugekommen.
Es war einfach schlimm für sie. Das Grauen mit eigenen Augen zu erleben, wobei sie zuvor noch die Stimmen der Toten gehört hatte, die eigentlich gar nicht hätten sprechen dürfen, das ging schon an die Grenze ihrer Kraft.
Auch jetzt waren in ihrem Kopf Stimmen zu hören, aber es waren nicht die der Toten. Die eigene Angst hatte sich in einen Klang warnender Stimmen verwandelt. Sie würde von hier verschwinden müssen, abtauchen, um nicht gesehen zu werden.
Das war die eine Seite. Es gab noch eine andere, und über die musste Elena mehr nachdenken.
Ein Mörder durfte nicht ungestraft durch die Welt laufen. Er musste vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden. So jedenfalls sah ihr Rechtsempfinden aus. Und dazu wollte sie auch stehen, sonst hätte sie nicht mehr in den Spiegel sehen können.
Sie hatte
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