1421 - Totenklage
einen Mörder gesehen, aber sie konnte ihn nicht beschreiben. Natürlich hätte sie der Polizei erzählen können, was sie alles beobachtet hatte. Aber hätte man ihr denn geglaubt?
Da hatte sie ihre Zweifel. Keiner würde eine große Suchaktion starten, nur weil eine taube Frau angeblich etwas gesehen hatte.
Und das mitten in der Nacht in einem einsamen Sumpfgelände.
Nein, so ging es nicht. Sie musste eine Beschreibung des Mörders liefern können, erst dann würden die Ohren des Gesetzes aufhorchen, und deshalb musste sie in der Nähe bleiben, um den Mann im Boot weiter zu beobachten.
Sie hatte ihren Standort verlassen, ohne dass es ihr besonders bewusst gewesen wäre. Erst als sie näher über gewisse Dinge nachdachte, stellte sie fest, dass sie doch ein ziemliches Stück auf den alten Steg zugelaufen war. Und genau diese Stelle steuerte der Mann im Boot wieder an.
Er paddelte jetzt schneller. Elena musste sich sputen, wenn sie einen sicheren Platz finden wollte.
Sie schaute sich um.
Ein größerer Baum befand sich nicht in der Nähe. Sträucher wuchsen auch nur wenige. Es gab eigentlich nur die Möglichkeit, in das hohe Gras zu tauchen und sich so platt wie möglich zu machen.
Elena zog sich noch einige Meter zurück und fand zum Glück eine kleine Mulde. Dort tauchte sie ab und blieb zwar auf dem Bauch, aber auch etwas aufgestützt liegen.
Sie wollte über den Rand der Mulde und durch die Lücken zwischen den Halmen schauen, was allerdings nicht viel brachte, denn das Gras wuchs einfach zu dicht.
Dass sie taub war, erwies sich jetzt als besonderen Nachteil. So konnte sie nicht hören, wie weit der Mann mit dem Boot inzwischen gefahren war. Sie würde sich ausrechnen müssen, wann er den Steg ungefähr erreicht hatte.
Elena blieb liegen und zählte in Gedanken bis zwanzig. Danach hob sie ihren Kopf so weit an, dass sie über die Enden der Halme schauen konnte. Das Boot sah sie. Es befand sich noch immer auf dem Wasser, allerdings schon in der Nähe des Stegs. Der Mörder hatte sich erhoben. Er musste ein wenig mit dem Gleichgewicht kämpfen, aber er hielt sich auf den Beinen und paddelte dann in den Gras- und Schilfgürtel am Ufer hinein.
Der alte Kahn hatte genügend Fahrt, um gegen den Steg zu rutschen. Der Mann stieg aus und band den alten Kahn wieder fest.
Für Elena wurde es interessant. Bisher hatte sie von dem Fremden noch nicht viel erkennen können. Jetzt war er so nahe an sie herangekommen, dass sie im Mondlicht mehr sah.
Noch wandte der andere ihr den Rücken zu. Er ließ sich jetzt Zeit, blieb auf dem Steg stehen und reckte sich. So sah nur jemand aus, der mit seiner Arbeit sehr zufrieden war, was Elena nicht nachvollziehen konnte.
Langsam drehte sich der Mann um.
Das Profil, das Gesicht von vorn und dann…
Elena schob den Kopf noch höher, um über die Spitzen des Grases hinwegschauen zu können. Nur so war eine gute Sicht möglich. Im Stehen wäre es natürlich optimal gewesen, aber so weit wollte sie nicht gehen. Der Killer durfte sie auf keinen Fall entdecken.
Aber sie sah ihn.
Das Gesicht kam ihr bleich und düster vor, weil sich dort Schatten und auch etwas Helligkeit verteilten. Elena wusste nicht, ob sie es schon mal gesehen hatte, und für eine genaue Beschreibung gab es zu wenig markante Eigenarten.
Der Mann stutzte plötzlich, und Elena erschrak zutiefst. Hatte er etwas gesehen? War sie zu unvorsichtig gewesen? Sie tauchte wieder ab. Sekunden vergingen, in denen sie es nicht wagte, sich in ihrer Mulde zu bewegen. Sie dachte an die Reaktion des Mörders.
Möglicherweise rief er bereits einen Befehl oder eine Frage in die Dunkelheit hinein, wer konnte das schon wissen?
Die Zeit dehnte sich. Elena spürte das Kribbeln auf ihrer Haut, als liefen Ameisen darüber hinweg. Die Zeit wurde ihr so verdammt lang, und dann geschah etwas, vor dem sie sich erschreckte.
Der Kerl musste etwas bemerkt haben, sonst hätte er nicht seine Lampe genommen, um damit die Umgebung zu beleuchten. So etwas tat man nicht ohne Grund.
Und er ließ sich Zeit dabei. Der Strahl wanderte langsam weiter, aber er bewegte sich im Kreis.
Elena drückte sich so fest wie möglich gegen den weichen Erdboden. Sie wäre am liebsten in ihn hineingekrochen. Da dies nicht möglich war, musste sie abwarten.
Den Kopf hatte sie etwas zur Seite gedreht, denn sie wollte sehen, wie der Strahl auf sie zuwanderte. Der Mörder nahm sich noch immer Zeit, als wollte er sie quälen.
Das Licht kam näher und
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