1433 - Der Engel, die Witwe und der Teufel
haben, da vernahm sie die Stimme.
Sie war nur ein Hauch. Ein sehr leises Wispern. Nicht mehr. Aber sie war in der Lage, die Worte zu verstehen, und nur darauf kam es ihr an.
»Keine Sorge, ich bin bei dir…«
Kates Augen waren bisher starr gewesen. Erst jetzt konnte sie sie wieder bewegen und schlug sie nieder. Die Frage brannte ihr auf der Seele, aber sie benötigte zwei Anläufe, um sie stellen zu können.
»Bist du – bist du – ein Engel?«
Jetzt kam es darauf an. In den nächsten Sekunden würde sie endlich Gewissheit haben, und Kate schaffte es nicht, normal zu atmen.
Sie hielt die Luft an.
War er oder war sie ein Engel?
Wieder der Hauch, der über ihren Nacken und den Hinterkopf strich. Erst als sie ihn spürte, vernahm sie die weiche Stimme.
»Ich bin dein Beschützer. Ich versuche es zu sein. Aber ich kann nicht überall sein. Ich weiß, dass du einen Gegner hast. Einen schrecklichen Feind, der sich nicht scheute, mit dem Teufel einen Pakt einzugehen. Der euch alle getäuscht hat, auch mich. Ich bin ein Wächter, ein Beschützer, aber ich kann selbst nicht viel tun. Das Schicksal jedes Menschen ist irgendwann geschrieben worden. Ich kann nur hin und wieder korrigieren, wenn ich sehe, dass das Unrecht zu groß wird. Aber auch da sind mir Grenzen gesetzt, und so bleiben mir oft nur Hinweise. Dass ich sprechen kann, ist schon etwas Besonderes. Glaub mir, es kostet mich eine große Energie, denn die Grenzen zwischen unseren Welten sind sehr stark.«
Ein gutes Gefühl durchströmte die Frau. Sie sah sich auf dem richtigen Weg, aber sie hatte auch erkannt, dass dieser Beschützer nicht allmächtig und dass es nicht leicht für ihn war, sich für eine Sache einzusetzen. Er war bestimmt nicht immer der Gewinner.
Kate Finley hatte plötzlich eine Idee.
»Darf ich dich etwas fragen?«
»Ja.«
»Darf ich mich auch bewegen?«
»Wenn du es willst…«
Sie war froh. Sie hatte es sich gewünscht.
Sie drehte sich um. Dabei blieb sie auf der Stelle. Ihr Herz klopfte schnell und hart. Noch wusste sie nicht, was sie nach der Drehung erwartete, und die Frage, ob Engel sichtbar waren, schoss ihr wieder durch den Kopf.
Dann hatte sie es geschafft.
Der Blick nach vorn – und das gleichzeitige Zusammenzucken.
Er oder es war da. Ein Wesen schwebte vor ihr im Flur. Es war nur ein Hauch, vielleicht ein Schatten, ein Umriss, nicht zu greifen, weil es keine feste Gestalt besaß. Aber von ihm ging etwas aus, das sie sehr genau spürte.
Die Botschaft sollte ihr Mut geben. Eine gewisse Beruhigung strahlte ihr entgegen. Sie lächelte und hoffte, dass die andere Gestalt auch lächeln würde.
Der Wärmestoß, der sie traf, löste in ihr ein gutes Gefühl aus. Dennoch bereitete es ihr Mühe, das Zittern zu unterdrücken, und mit heiserer Stimme flüsterte sie: »Ich sehe dich…«
»Danke. Es ist nicht oft, dass ich sichtbar werden kann.«
»Warum gerade bei mir?«, wollte sie wissen. »Hat es einen besonderen Grund?«
»Ich habe dir Mut machen wollen.«
»Und weiter?«
»Ich habe es auch meinetwegen getan. Die andere Seite ist so unwahrscheinlich stark. Wer sich mit dem Teufel einlässt, der bekommt viel, aber er muss auch viel geben.«
Wieder erinnerte sich Kate an die Märchen, die sie früher mal gelesen hatte. Deshalb rutschte ihr die nächste Frage wie von selbst heraus.
»Auch seine Seele?«
»Nur sie.«
»Und die hat Glen Griffin verkauft – oder?«
»So ist es«, wehte er ihr entgegen. »Er hat sich als Mensch der Hölle hingegeben und sich von ihr brandmarken lassen. Niemand hat etwas bemerkt, auch dein Mann Sean nicht. Er hat ihm vertraut. Er wollte mit ihm eine gemeinsame Zukunft auf geschäftlicher Basis aufbauen, aber das hat er nicht geschafft. Sein Partner wollte sich nicht mit dem zufrieden geben, was er in den Händen hielt. Er wollte alles. Er hätte alles übernommen. Er war schrecklich gierig und kannte keine Grenzen. Man muss es so hinnehmen. Sean hat davon nichts bemerkt. Er geriet immer stärker unter den Einfluss seines Partners. Und als ihn dieser in den Urlaub schickte, da war für ihn alles klar. Da stand längst fest, dass er nicht mehr lebend nach London zurückkehren würde. Und so ist es auch gekommen. Es war ein Unglück, das sich niemand erklären konnte. Tatsächlich aber war es Mord, ein eiskalter Mord. Keine Polizei konnte herausfinden, was tatsächlich geschehen war. Die Seile sind wie von selbst gerissen, und ich – ja, ich bin…«
Er hörte auf zu sprechen. Die
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