1437 - Der weibliche Tod
hielt ihn wach.
Der leise Laut aus dem Mund der alten Frau schreckte ihn auf. Sofort suchte sein Blick das Gesicht der Greisin.
»Was ist los?«
»Er kommt!«
Es war nur eine schlichte Antwort, aber sie alarmierte den Popen.
Die entspannte Haltung fiel von ihm ab. Er sah aus, als wollte er sich vom Stuhl erheben, doch er blieb erst mal sitzen und bewegte dabei nur den Kopf von einer Seite zur anderen.
Das Zimmer war natürlich leer. Auch ein Blick zum Fenster hin zeigte ihm nicht Neues. Aber er wusste auch, dass die alte Frau sich nicht geirrt hatte.
Wieder erschienen ihre Hände, und diesmal zitterten die gichtkrummen Finger.
»Halt mich fest, bitte! Er ist unterwegs. Ich spüre seine verfluchte Aura.« Sie bewegte zuckend ihre kleine Nase. »Ich kann den Tod riechen, Konstantin. Ich kenne den Geruch, aber heute ist er noch intensiver als sonst.«
»Ich habe alles verstanden, Anna, alles. Ich werde mich danach richten.« Nach einem letzten, etwas verkrampften Lächeln stand er mit einem Ruck auf.
»Wo – wo – willst du hin?«, flüsterte sie.
»Keine Sorge, ich werde dich nicht allein lassen. Ich bleibe in deiner Nähe.«
»Auch im Zimmer?«
»Selbstverständlich.«
Die Antwort schien sie zu beruhigen, denn auf ihren ausgetrockneten Lippen entstand ein Lächeln, was der Pope allerdings nicht sah. Er befand sich auf dem Weg zum Fenster, um es so weit wie möglich zu öffnen, denn er war der Meinung, dass der Tod nur diesen Weg nehmen konnte.
Die noch warme Oktoberluft umfächerte sein Gesicht. Er beugte sich leicht vor, und er blickte auf das hinter dem Haus liegende Gelände, in dem einige Obstbäume wuchsen und der Rasen noch seine volle grüne Farbe zeigte. Das Laub hing noch an den Zweigen und Ästen. Nur wenige Blätter waren abgefallen und lagen am Boden.
Jenseits des Rasens sah er die Rückfronten der anderen Häuser.
Fenster, deren Scheiben einen grauen Schimmer aufwiesen, unterbrachen die alten Mauern.
Wo war der Engel?
Er beugte sich noch weiter nach vorn, um ein besseres Blickfeld zu haben. Er wusste nicht, aus welcher Richtung er sich nähern würde.
Engel kamen aus dem Himmel, so hieß es immer, aber es konnte durchaus sein, dass es bei diesem hier nicht zutraf. Denn ihn hatte der Teufel geschickt.
Eine Veränderung war nicht zu sehen. Nach wie vor zeigte der Himmel eine prachtvolle Bläue, die nur von ein paar Wolkenstreifen beeinträchtigt wurde.
Anna hatte den Tod gefühlt. Bei ihm war das nicht der Fall. Für den Popen war alles normal geblieben, aber er lachte die Frau trotzdem nicht aus. Menschen wie sie besaßen schon andere Ahnungen als diejenigen, die noch mit beiden Beinen im Leben standen.
Er war nicht zu sehen. Keine Gestalt, auch nichts, was an einen Geist erinnert hätte. Der Engel hielt sich zurück.
Der Pope verspürte keine Angst um sich. Ihm ging es mehr um Anna. Sie war so schwach. Auch wenn der Todesengel nicht erschien, sie würde die nächsten Tage nicht überleben. Menschen, die so alt geworden waren, starben zumeist an Altersschwäche.
Er drehte sich wieder um und sah sofort, dass Anna ihren Blick auf ihn gerichtet hielt.
Konstantin schaffte ein Lächeln, als er sagte: »Er ist nicht da. Vielleicht kommt er nicht.«
»Du irrst dich, Freund. Er wird kommen. Eine wie ich spürt das.«
Sie flüsterte weiter. »Und du musst immer damit rechnen, dass er die Raffinesse der Hölle besitzt.«
»Ja, das müssen wir wohl.«
»Aber mach dir keine Sorgen. Wenn es dir zu lange dauert, kannst du mich ja allein lassen und…«
»Nein, nein, das kommt nicht in Frage. Ich bleibe bei dir, und wenn es die folgende Nacht über dauert.«
»Du bist sehr lieb und menschlich. Bitte sei auch so lieb und hol mir ein frisches Glas Wasser.«
»Gut.«
»Ich möchte nämlich nicht vertrocknen.«
Der Pope nickte. Er drehte sich, um auf die Tür zuzugehen. Die erreichte er auch, aber als er die Hand bereits auf die Klinke gelegt hatte, da zuckte er zusammen.
Ein schrecklicher Schrei war an seine Ohren gedrungen. Der Pope duckte sich, und ihn durchzuckte auf der Stelle ein bestimmter Gedanke.
Das Hausmädchen!
Er riss die Tür auf.
Die nächsten Sekunden waren für ihn ein Albtraum. Vor seinen Augen drehte sich alles. Er hatte zudem das Gefühl, versagt zu haben. Wie ein Besessener stürzte er über die Türschwelle, drehte sich nach links und schaute den Flur entlang.
Hell war er nicht besonders. Aber das Licht reichte aus, um den Klumpen zu sehen, der am Boden lag.
Er
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