1437 - Der weibliche Tod
und bewegte ihre Lippen wie ein kleines Kind. Sie hatte großen Durst und der Trank kam ihr gerade recht.
Bis auf einen kleinen Rest trank sie das Glas leer und sprach davon, wie gut es ihr getan hatte.
»Wasser ist Leben, Anna.«
»Nicht mehr bei mir. Es erfrischt nur. Ich spüre den Tod. Er ist nicht mehr weit entfernt.«
»Darf ich Fragen, wie es dir geht?«
»Ich werde sterben.«
Konstantin lächelte. »Das ist noch nicht heraus.«
»Doch, es ist das Alter. Es wird Zeit für mich. Jeder muss abtreten, und jetzt ist eben meine Zeit gekommen.«
»Ja, das weiß ich. Aber…«
»Kein aber mehr. Ich habe lange genug gelebt und ich habe vieles erlebt. Fast hundert Jahre bin ich alt geworden. Ich habe auch Väterchen Russland nach meiner Flucht einige Male wiedersehen können. Das ist alles richtig, doch jetzt ist für mich die Zeit gekommen, abzutreten.«
»Und der Pope ist bei dir. So, wie du es dir gewünscht hast.«
»Das musste auch sein.«
»Warum hast du danach verlangt?«
»Weil ich trotz allem einen Schutz haben will. Es kann nicht sein, dass man mich schon vorher holt. Dass er kommt, um mich zu töten und danach mitzunehmen, Brüderchen. Du weißt, von wem ich spreche. Du kennst auch den Namen.«
»Rusalka.«
»Ja, der Todesengel. Derjenige, der es nicht erwarten kann, dass jemand stirbt. Ein Engel, der aus der Hölle gekommen ist. Der dem Teufel gehorcht.«
»Ich weiß.«
Anna holte keuchend Atem. »Ich kenne ihn. Ich habe genug über ihn gehört. Ich weiß eigentlich alles. Er ist so grausam und endgültig. Er ist jemand, den man nur hassen kann. Er holt sich die Menschen, und er schafft sie zum Teufel hin. Die Hölle ist so verdammt wichtig für ihn. Aber ich will ihm nicht die Gelegenheit geben. Ich will richtig sterben und nicht durch ihn geholt werden. Der Grausame soll wegbleiben. Dabei ist er kein Mann. Der Tod ist weiblich. So sagen es die Lateiner und auch die Franzosen. Das habe ich alles gelesen. Und sie haben Recht, denn die Hölle schickt ihren Todesengel.«
Der Pope versuchte es mit einem Lächeln. »Was du mir gesagt hast, das stimmt. Ich weißes, und deshalb bin ich auch bei dir. Ich werde ihn abwehren.«
Etwas Glanz trat in die alten Augen. »Ja – ja…«, hörte er das Flüstern. »Du musst ihn abwehren. Du darfst nicht zulassen, dass er mich schon vorher holt. Bitte, deshalb sitzt du hier. Ich weiß ja, dass ich sterben muss, aber nicht so.«
»Beruhige dich. Ich denke, dass es am besten ist, wenn du etwas schläfst. Gönn dir die Ruhe. Auch jetzt wird sie dir noch gut tun, das weiß ich.«
»Nein, Konstantin, nein. Ich will ihn sehen. Ich will erleben, wenn er kommt…«
»Und dann?«
»Möchte ich Zeuge sein, wie du ihn vertreibst. Ja, ich will es genau beobachten. Du sollst ihn zum Teufel schicken, und zwar so, dass er nicht mehr zurückkehren kann. Versprich mir das!«
»Ist das Dein Wunsch?«
»Ja, mein Wunsch. Ich möchte nichts anderes. Ich will in den letzten Minuten meines Lebens sehen, was passiert, wenn er endgültig zur Hölle geschickt wird.«
»Keine Sorge, du wirst es erleben.«
Sie schwieg, ater sie lächelte. Ein Zeichen, dass ihr die Worte gut getan hatten.
Der Pope überlegte. Anna hatte auf ihn einen so bestimmten Eindruck gemacht. Sie war sich völlig sicher, dass dieser Todesengel kommen würde. Der weibliche Tod, wie es hieß. Der Pope wusste, dass es bei anderen Völkern einen Begriff gab wie Frau Tod. Ja, er hatte sich auch über die Grenzen seines Landes hinweg informiert.
Und deshalb ging er davon aus, dass der Tod in der Gestalt einer Frau kommen würde.
Er musste nur noch warten. Gewisse Vorzeichen würde es geben, davon ging er aus, und es brauchte auch nicht so zu sein, dass der Tod in der Nacht oder bei Dunkelheit erschien. Bei ihm war alles gleich. Ihm gehörte der Tag ebenso wie die Nacht.
Anna lag da und sagte nichts mehr. Sie war starr geworden, aber noch nicht gestorben, auch wenn sie so aussah. Die Augen hatte sie nicht geschlossen. Sie schien darauf zu warten, den weiblichen Tod sehen zu können.
Aber er kam nicht.
Er ließ sich Zeit, und diese Zeit wurde lang und schwer. Es lag auch an der Stille, die hier herrschte. Von draußen war so gut wie nichts zu hören. Nur ein fernes Rauschen, das die Scheibe erreichte, aber so gut wie nicht durchdrang.
Er musste warten. Er riss sich zusammen, damit ihm nicht die Augen zufielen. Der Gedanke daran, dass er bald dem Tod in einer speziellen Gestalt gegenüberstehen würde,
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