1437 - Der weibliche Tod
mal gespannt«, sagte ich leise…
***
»Kommen Sie herein. Sie sind mir avisiert worden. Sie sind doch der Pope – oder?«
Konstantin nickte. »Ja, das bin ich.«
»Dann bitte…«
Der Russe trat seine Füße auf der Matte ab. Er befand sich in der zweiten Etage eines alten Hauses. Die Wände und die Decke des Flurs waren grau gestrichen. Die Treppe bestand aus hellem Stein.
Das Haus gehörte dem Staat Russland. Vor Jahren war es gekauft worden, um Menschen Wohnungen zu geben, die sich um das Land verdient gemacht hatten. Man lebte hier, und man starb auch hier, denn der Pope war gekommen, um eine im Sterben liegende Frau zu besuchen.
Geöffnet hatte ihm ein Hausmädchen. Es trug eine Kleidung, die ihn an die Tracht einer Nonne erinnerte. Es fehlte allerdings die Haube.
»Wie geht es Anna?«, fragte er.
Die Frau senkte den Kopf und schloss die Tür. »Es geht wohl dem Ende entgegen. Es ist gut, dass Sie gekommen sind. Sie hat sich den Popen gewünscht. Sie ist immer sehr gläubig gewesen, und jetzt möchte sie, dass ein Kirchenmann bei ihr ist, wenn die Seele ihren Körper verlässt.«
Konstantin nickte. »Deshalb bin ich hier«, erklärte er und fragte dann: »Kann sie sprechen?«
»Kaum, denn sie ist sehr schwach. Wenn sie Sie sieht, kann sich vielleicht etwas ändern.«
»Gut.«
»Ich bringe sie hin«, sagte das Hausmädchen.
Der Flur war recht lang und auch düster. An beiden Seiten befanden sich hohe Türen. Die meisten waren mit einem Glaseinsatz versehen. In dieser Wohnung lebten mehrere Personen. Sie war so etwas wie ein kleines Seniorenheim, denn die Zimmer waren für russische Menschen reserviert.
Dem Popen gefiel der Geruch im Flur nicht. Aber er hielt keinen Vergleich zu dem stand, den er später einatmen musste, nachdem er die Tür am Ende des Ganges geöffnet hatte.
Nur ein Optimist hätte von einer normalen Luft geredet. In dem recht kleinen Raum hielt sich ein widerlicher Gestank. Man konnte ihn kaum beschreiben. Es roch nach einem alten Menschen und als wäre hier seit Wochen nicht mehr gelüftet worden. Das einzige Fenster war verschlossen. Unter der Decke hing eine Schalenleuchte, deren Glas einen schmutzig gelben Farbton aufwies. Viel Licht gab diese Lampe nicht ab.
Der Pope ging zum Fenster. »Darf ich?«
Die Hilfe lächelte etwas schief. »Ich weiß nicht. Anna wollte nicht, dass das Fenster geöffnet wird. Sie hat Angst davor gehabt, dass jemand kommen könnte.«
»Wer?«
Die Frau hob die Schultern an. Entweder konnte sie nicht antworten oder wollte nicht.
Der Pope öffnete das Fenster trotzdem. Die frische Luft war etwas Wunderbares. Erst nachdem er einige Male tief durchgeatmet hatte, drehte er sich um und wandte sich dem Bett zu, in dem die Todkranke schon seit Wochen lag.
Es war ein Bett, das man auch bei einem Trödelhändler hätte kaufen können. Aus dunklem Holz gefertigt mit einem hohen Kopf-und Fußteil.
Anna lag auf dem Rücken. Wer sie nicht kannte und wer derartige Anblicke nicht gewohnt war, der erschrak bei ihrem Anblick. Sie war eine Greisin.
Klein sah ihr Kopf auf dem Kissen aus. Beinahe schon ein Schrumpfkopf, dessen Haut von zahlreichen Falten durchzogen war. Man konnte den Kopf auch mit einem verschrumpelten Apfel vergleichen, in dem es zwei Punkte gab, die hell schimmerten. Es waren die Augen, deren Blick sich für einen Moment veränderte, als Anna die hoch gewachsene Gestalt sah, die an ihr Bett trat und sich nach einem Moment des Zögerns auf einem Stuhl niederließ.
Bevor sich der Pope der kranken Greisin zuwandte, schickte er die andere Frau hinaus, die zuvor noch ein Glas mit frischem Wasser bereitstellte.
»Danke, das ist nett.«
»Wenn etwas sein sollte, dann klingeln Sie bitte.« Ein starrer Finger deutete auf einen Knopf in der Wand. »Danke, das werde ich tun.« Der Pope überlegte, ob er das Fenster offen lassen sollte. Er entschied sich dafür, es lieber zu schließen.
Dann konzentrierte er sich auf Anna, und seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, bevor er fragte, ob sie etwas zu trinken haben wolle.
»Bitte.«
»Moment.« Konstantin nahm das Glas. Er sah, dass zwei Hände unter der Bettdecke erschienen, doch er glaubte nicht, dass sie die Kraft hatten, das Glas zu halten.
Deshalb behielt er es und setzte es der Frau an die Lippen. Da sie schon etwas angehoben lag – drei Kissen bildeten hinter ihr die Stütze –, musste er sie nicht erst nach vorn drücken, um sie trinken zu lassen. Es klappte auch so.
Anna schlürfte
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