1439 - Totenfeld
»Im Prinzip schon. Ich will nur noch, dass du ihm den Arm so drapierst, dass seine Finger nach vorn auf den Betrachter weisen. Wer immer sich das Foto anschaut, der soll genau erkennen können, dass er gemeint ist, dem dieser Arm entgegengestreckt wird.«
»Auch das noch.«
»Mach schon.«
Der Totenwäscher gab sich Mühe.
Schließlich bekam er fünfzig Pfund für seinen Job. Da es sein tägliches Brot war, mit Toten umzugehen, hatte er keine Scheu. Einer musste den Job wie das Leichenwaschen machen. Er hatte ihn sich nicht ausgesucht. Aber es war besser, als auf der Straße herumzuhängen.
Dass sich jedoch ein Fotograf für die Toten interessierte, wollte ihm nicht in den Kopf. Das war schon verrückt, gaga, da konnte er sich nicht reindenken.
Deshalb dachte er auch nicht weiter darüber nach und tat einfach nur das, wofür er auch Geld bekam.
»Wenn du dich hinter den Toten duckst und ihn festhältst, den Arm, meine ich, wäre das noch besser«, sagte Ari. »Aber duck dich so, dass du auf dem Foto nicht zu sehen bist.«
»Ja, wird gemacht.«
»Sehr schön.«
Ari war zufrieden. Er war seine letzte Aufnahme. Danach wollte er nach Hause fahren, noch ein paar Stunden schlafen und dann aufs Land fahren, wo es auch einige interessante Motive gab.
Sechs Fotos schoss er von dem Toten. Da konnte er sich das beste für seine Ausstellung aussuchen.
»Gut so, gut, ja, das ist Klasse.« Er tat, als würde er mit der Leiche sprechen. In Wirklichkeit galten die Worte seinem Helfer. Sie sollten dafür sorgen, dass er nicht die Lust verlor.
»War’s das?«
»Ja!«, erklärte Ari und trat einen Schritt zurück. »Du kannst deinen Freund wieder in den Sarg legen.«
»Was heißt Freund?«
»Sind die Toten nicht deine Freunde?«
»Nein, mit denen kann ich ja kein Bier trinken.«
»Stimmt auch wieder.« Ari kicherte.
»Humor hast du. Aber den braucht man auch bei deinem Job.«
Der Helfer hatte den Toten angehoben. Wie ein Kind lag die dürre Gestalt über seinen Armen. Wenig später befand sie sich wieder an ihrem Platz im Sarg.
Er würde ihn noch an eine andere Stelle räumen. Erst musste der Fotograf verschwunden sein. Der Wäscher wollte ihn noch bis an die Tür begleiten.
Sein Chef durfte von dieser Nebentätigkeit nichts wissen. Deshalb hatte er den verrückten Fotografen auch in der Nacht eingelassen.
Dessen Arbeit war erledigt, und der Leichenwäscher freute sich, dass der Typ bereits seine Sachen zusammenpackte.
»Fotografieren Sie jetzt noch andere Leichen?«, fragte er.
Ari Ariston – das Pseudonym fand er toll – kicherte. »Klar, aber nicht mehr hier oder in dieser Nacht. Ich suche mir eine andere Location aus, die ebenso stimmungsvoll ist.«
Der Leichenwäscher öffnete die Tür und fragte: »Wo denn?«
»Auf dem Land!«
»Was?«
Ariston schulterte seine Tasche, in der die wertvolle Kamera nebst Ausrüstung steckte. »Ja, du hast richtig gehört. Da gibt es irre Motive. Und denk daran, dass wir bald Halloween haben. Das ist die Nacht der Geister und der Toten. Da geht es dann rund. Und ich weiß, dass nicht alles Einbildung ist.«
»Wieso? Tot ist tot.«
»Für dich ja.« Ari schlug dem Leichenwäscher auf die Schulter.
»Bis später vielleicht mal.«
»Habe nichts dagegen.«
Der Fotograf lachte. Dann verschwand er in der Dunkelheit. Er hatte seinen Van außerhalb des Grundstücks geparkt. Ein schwarzer Wagen mit getönten Scheiben.
Er stieg ein und fuhr weg. Besonders weit hatte er nicht zu fahren.
Sein Ziel war ein ehemaliges Fabrikgelände, das allerdings seit drei Jahren leer stand und umgebaut worden war.
Man hatte die Räume vermietet und sie Künstlern zur Verfügung gestellt. Maler, Fotografen, Bildhauer – sie alle hatten auf diesem Gelände und auch in den Räumen genügend Platz, um ihrer Arbeit nachgehen zu können.
Für Ari Ariston war noch kein Feierabend. Er wollte die letzten Fotos bearbeiten und alles für seinen nächsten Trip vorbereiten. Der würde ihn in ein Kaff auf dem Lande führen. Dort wollte er noch einige besondere Fotos schießen, die alles in den Schatten stellten, was er bisher auf einen Film gebannt hatte.
Um genau achtzehn Minuten nach Mitternacht erreichte er das Fabrikgelände. Es gab nur wenige Lampen. Wer das Gelände nicht kannte, hatte das Gefühl, durch eine unheimliche und sehr fremd wirkende Gegend zu fahren. Hier musste man sich schon auskennen.
Hohe Bauten. Große Fenster. Außen- und Innentreppen. Rohre, die wie dicke Schlangen unter
Weitere Kostenlose Bücher