1448 - Der Kaiser von Karapon
Verhalten offenbar als ungehörig. Aber selbst wenn er vor Wut geplatzt wäre, hätte Dao-Lin-H'ay sich jetzt nicht darum gekümmert.
Dort kam Feng-Lu.
In der NARGA SANT, als er sich anschickte, die wehrlosen Nachkommen der Schiffbrüchigen zu töten, hatte sie ihm das Muster ihrer Krallen ins Gesicht geschrieben - eine tödliche Beleidigung in den Augen des Karaponiden.
Natürlich konnten die Heilkundigen derartige Narben beseitigen, aber Feng-Lu hatte auf einen solchen Eingriff verzichtet.
Die Spuren, die Dao-Lin-H'ays Krallen auf seinem Gesicht hinterlassen hatten, waren deutlich sichtbar: Dünne, haarlose, parallel zueinander verlaufende Striche, die von den Schläfen bis hinunter zum Halsansatz reichten.
Feng-Lu hatte offensichtlich vorher keine Ahnung gehabt, warum er sich bei Thoy-P'ang einfinden sollte. Als er sich jetzt plötzlich der verhaßten Kartanin gegenübersah, durchfuhr es ihn wie ein Blitz.
Niemand hatte es für erforderlich gehalten, ihn zu entwaffnen - er war ein so loyaler Untertan des Kaisers, daß dies als unnötig erscheinen mochte. Aber niemand schien auch zu ahnen, zu welch ungeheurer Intensität sein Haß auf Dao-Lin-H'ay beim Anblick der Kartanin anwachsen würde.
Auch Thoy-P'ang schien sich in diesem Punkt verrechnet zu haben. Andernfalls hätte er sicher vorgesorgt und zumindest die Wachen darüber informiert, daß diese Gegenüberstellung in eine äußerst kritische Situation münden konnte.
Die Wachen aber waren völlig ahnungslos.
Es war Feng-Lu anzusehen, daß er für den Augenblick total vergessen hatte, wo er sich befand. Er sah weder Del-Mion noch die Palastwachen oder Ge-Liang-P'uo, und ganz gewiß war er sich auch nicht der Anwesenheit seines Kaisers bewußt. Seine Augen wirkten ein wenig glasig, sein Mund war zu einem lautlosen Fauchen geöffnet, und sein Bart war gesträubt. Seine rechte Hand fuhr herab. Er riß die Waffe aus dem Halfter.
Thoy-P'ang reagierte mit Verzögerung.
Er konnte offenbar nicht fassen, was sich vor seinen Augen abspielte. Allein die Tatsache, daß ein Offizier in seiner Gegenwart mit einer entsicherten Waffe herumfuchtelte, war eine Ungeheuerlichkeit.
Und die Wachen hielten sich ans Protokoll: Sie wagten es nicht, ihrem Kaiser den Rücken zuzuwenden und sich nach Feng-Lu umzudrehen.
Dao-Lin-H'ay warf sich zu Boden, als Feng-Lus Finger den Abzug berührte. Der Schuß war sehr laut. Er krachte wie ein Donnerschlag in dem relativ engen Raum.
Feng-Lu schrie auf, wütend und enttäuscht, als er sah, daß er sein Ziel verfehlt hatte.
Dao-Lin-H'ay schnellte sich trotz der Handfesseln mit der Gewandtheit einer Katze zu dem Tisch, hinter dem Thoy-P'ang saß. Sie registrierte aus den Augenwinkeln heraus ein glühendes, qualmendes Loch in der Stirnwand des Raumes, nicht mehr als einen halben Meter vom Kopf des Kaisers entfernt.
Ein zweiter Schuß. Dao-Lin-H'ay spürte die glühende Hitze an ihrer linken Schulter. Brennende Splitter flogen ihr um die Ohren. Der Arbeitstisch des Kaisers von Karapon war um eine Ecke ärmer. „Feng-Lu!"
Thoy-P'angs Stimme riß sowohl Del-Mion als auch die Palastwachen aus ihrer Erstarrung.
Del-Mion warf sich auf Dao-Lin-H'ay, riß sie auf die Füße und zerrte sie vom Tisch und dem Kaiser von Karapon weg.
Die beiden anderen schlugen dem Großadmiral die Waffe aus der Hand, drehten ihm die Arme auf den Rücken und rissen ihn in die Höhe. Feng-Lu setzte für einen Augenblick zur Gegenwehr an, aber dann begriff er wohl endlich, daß dies eine für ihn äußerst gefährliche Reaktion war.
Er riß sich zusammen und senkte den Kopf, ernüchtert und erschrocken. Ihm wurde erst jetzt bewußt, was er getan hatte. „Laßt ihn los!" befahl Thoy-P'ang eisig.
Er saß noch immer hinter seinem demolierten Arbeitstisch, und es war keineswegs so, daß nur Schreck und Entsetzen ihn an seinen Platz bannten. Er verfügte über eine gehörige Portion von Kaltblütigkeit.
Die Palastwachen zögerten. Sie hatten noch gar nicht recht begriffen, daß Feng-Lus überraschender Angriff nicht etwa dem Kaiser, sondern einer Gefangenen gegolten hatte. Am liebsten hätten sie dem Großadmiral auf der Stelle den Hals umgedreht. Nur ihr bedingungsloser Gehorsam Thoy-P'ang gegenüber bewahrte Feng-Lu vor dem sofortigen Tod. Ob das allerdings wirklich von Vorteil für ihn war, mußte sich erst noch zeigen - Thoy-P'angs Urteil war noch nicht gefällt. „Ich sagte, ihr sollt ihn loslassen!" fauchte der Kaiser von Karapon in kalter Wut.
Die
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