1448 - Der Kaiser von Karapon
„Bringt sie weg", befahl er den Wachen. „Alle beide. Aber beschädigt sie nicht - ich brauche sie noch."
*
Die zur Palastwache gehörenden Karaponiden waren offenbar darauf geeicht, jeden Befehl, den sie aus dem Mund ihres Kaisers hörten, mit größter Sorgfalt aufs Wort genau auszuführen.
Also behandelten sie die beiden Gefangenen pfleglich - allerdings nur insofern, als sie sie nicht unnötig grob herumstießen. Da Thoy-P'ang aber nicht befohlen hatte, daß man Dao-Lin-H'ays Wunde versorgen sollte, nahmen sie auch keine besondere Rücksicht auf die Tatsache, daß die Kartanin verletzt war.
Man steckte die beiden Gefangenen in eine Zelle in den weitläufigen Kellergeschossen unterhalb des Palasts.
Den Weg dorthin hatten sie zu Fuß zurückzulegen. Der Gedanke daran, daß Thoy-P'ang irgendwo vor einem Bildschirm sitzen und jeden ihrer Schritte beobachten mochte, gab Dao-Lin-H'ay genug Kraft, sich trotz ihrer Schmerzen aufrecht zu halten.
In der Zelle gab es zwei harte Pritschen.
In einem kleinen Verschlag in der Ecke fanden sie die nötigsten sanitären Anlagen, primitiv und schmutzig. Aus einem dünnen Rohr rieselte trinkbares Wasser über eine schräge Platte und verschwand in einem schmalen Schlitz. Das Licht war grell und unangenehm. „Das sind Barbaren!" sagte Ge-Liang-P'uo zornig. „So werden bei uns noch nicht einmal die schlimmsten Verbrecher untergebracht."
„Hast du etwas anderes erwartet?" fragte Dao-Lin-H'ay spöttisch. „Wir befinden uns schließlich bei den Karaponiden."
„Sie hätten uns wenigstens Verbandszeug geben können", schimpfte Ge-Liang-P'uo. „Laß mich das ansehen."
Dao-Lin-H'ay hielt geduldig still und biß die Zähne zusammen, während Ge-Liang-P'uo vorsichtig mit spitzen Krallen die verschmorten Stoffreste aus der Wunde entfernte. „Ich wollte, ich wüßte, wo diese verdammte Perle ist", sagte sie dabei. „Ich würde sie diesem eingebildeten Thoy-P'ang mit dem größten Vergnügen in den Rachen stecken, bis er daran erstickt.
Warum sind diese Kerle bloß so felsenfest davon überzeugt, daß dieses Ding sich in der NARGA SANT befinden soll?"
„Das weiß ich auch nicht", erwiderte Dao-Lin-H'ay beruhigend. „Aber vielleicht verraten sie es uns, wenn sie merken, daß wir ihnen nichts dazu sagen können."
„Ich glaube nicht, daß uns das dann noch etwas nützt", knurrte Ge-Liang-P'uo. „Du hast ihn doch gehört. Der wird uns zentimeterweise umbringen, einen nach dem anderen. Und mit dir wird er anfangen."
„Warten wir es ab", murmelte Dao-Lin-H'ay und streckte sich auf ihrer Pritsche aus.
Sie hielt nichts davon, sich unnütz aufzuregen, und wenn sie sich wie jetzt in einer Situation befand, in der sie ohnehin nichts tun konnte; dann zog sie es vor, sich auf kommende Anstrengungen vorzubereiten, indem sie sich ausruhte.
Im Halbschlaf kamen und gingen ihre Gedanken, ohne daß sie eine willentliche Kontrolle über sie ausübte. Es waren keine Träume, sondern Eindrücke, die ihr Gehirn gespeichert hatte und nun freigab, ohne vom Verstand dabei behindert zu werden.
Es war eine vorzügliche Methode der Entspannung - und ein sehr guter Weg, Dinge herauszufinden, die sich sonst jeder bewußten Nachforschung entzogen.
Thoy-P'angs Verhalten hatte in Dao-Lin-H'ay den Verdacht erweckt, daß der Kaiser von Karapon gewisse Erfahrungen im Umgang mit psibegabten Wesen hatte.
Vielleicht besaß er aber auch nur einige theoretische Kenntnisse auf diesem Gebiet.
Wie dem auch sein mochte - wenn ein fremder Telepath seine Gedanken im Spiel hatte, dann würde Thoy-P'ang sicher nicht darauf verzichten, diesen Telepathen auf die Kartanin anzusetzen. Und dieser Telepath mochte noch so geschickt sein und sich noch so sorgfältig gegen jede Entdeckung abschirmen - er würde dennoch Spuren in den Hirnen derer hinterlassen, die er belauschte. Zumindest dann, wenn es sich bei den Belauschten selbst ebenfalls um Telepathen handelte.
Unauffällige Spuren, die unter normalen Umständen nicht aufzuspüren waren: Bilder und Gedankensplitter, die haften geblieben waren und sich mit etwas Glück als fremdartig identifizieren ließen.
Dao-Lin-H'ay konnte keine derartigen Spuren finden. Da Ge-Liang-P'uo zu demselben negativen Ergebnis kam, waren sie nach einigen Stunden ziemlich sicher, daß Thoy-P'ang keinen Telepathen auf sie angesetzt hatte. „Das ist immerhin etwas", sagte Dao-Lin-H'ay zufrieden. Und in Gedanken fügte sie hinzu: Sieh zu, daß du Thoy-P'angs Impulse aufspüren
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