1455 - Das Gewissen des Henkers
überhaupt gibt. Obwohl ich sie gesehen habe, ist mir das ein Rätsel. Ich kannte ihn nur als Porträt in einem Bilderrahmen, und plötzlich ist aus ihm ein Wesen geworden, das existiert.«
»Das stimmt leider. Und wenn Sie eine Erklärung verlangen, so kann ich Ihnen keine befriedigende geben. Manchmal muss man sich mit Dingen abfinden, die einfach nicht zu erklären sind, so traurig das auch ist. Er wird von anderen Kräften geleitet, und er ist kein Mensch mehr, mag er auch noch so erscheinen.«
»Ja, das Gefühl habe ich auch.« Sie beugte sich wieder vor und fragte noch mal nach den drei Namen.
»Es gibt zu viele davon. Wir müssten jeden anrufen, der diese Namen trägt. Wir müssten die Person dann nach der Vergangenheit fragen, und ob wir da eine Antwort erhalten, ist mehr als fraglich.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Sie schaute an mir vorbei und flüsterte: »Ich habe schon darüber nachgedacht, ob er die Menschen, wenn er sie denn gefunden hat, auch töten will. Schließlich ist er ein Henker.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nicht töten. Er hat sich eine andere Aufgabe gestellt.«
»Und das glauben Sie ihm alles?«
»Ja, er will nur sein Gewissen erleichtern.«
Fiona musste jetzt lachen. »Wenn das so ist, John, dann brauchen wir vor seinem Erscheinen keine Furcht zu haben, denn wir sind schließlich nicht betroffen.«
»Ja, das sehe ich auch so.«
»Und warum jagen Sie ihn dann?«
Auf diese Frage hatte ich schon lange gewartet und hielt die Antwort bereit.
»Weil ich mehr über ihn und seine andere Welt wissen möchte. Das ist der Grund.«
»Ja, ich verstehe. Sie würden gern mit ihm reden. Ist das so?«
»Sie haben es erfasst.«
Fiona runzelte vor ihrer nächsten Frage die Stirn. »Und was ist, wenn er auf Ihr Spiel nicht eingeht?«
»Dann habe ich Pech gehabt.«
»Sie wollen ihn also nicht umbringen?«
»Ich weiß gar nicht, ob ich das kann. Aber soll man jemanden, der bereut, töten? Mit seinen damaligen Taten habe ich nichts zu tun. Da war ich noch längst nicht auf der Welt.«
»Das haben Sie gut gesagt, John.« Sie hob die Schultern. »Der Unterschied zwischen uns ist der, dass ich den Namen Lester trage. Dass ich deswegen mal so große Probleme bekommen würde, daran hätte ich nie im Leben gedacht. Das ist auch jetzt für mich nicht nachvollziehbar.«
Ich wollte noch etwas hinzufügen, aber es gab den Störenfried in meiner Jackentasche, wobei ich davon ausging, dass der Anrufer nicht nur fragen wollte, wie es mir ging.
Suko wollte mich sprechen.
»Wo steckt du, John?«
»Noch immer bei Fiona Lincoln.«
»Was Neues bei euch?«
»Nein. Und bei dir?«
»Zwei Tote!«
Nach dieser Antwort blieb ich zunächst stumm, denn es hatte mir die Sprache verschlagen.
»Bist du noch dran, John?«
»Sicher.«
»Zwei Menschen, die durch das Beil eines Henkers getötet wurden. Dafür gibt es sogar Zeugen.«
»Wer ist es?« Ich dachte mir, dass die Zeugen wichtig waren. Außerdem hatte Suko eine entsprechende Betonung in seine Stimme gelegt.
»Es ist das Ehepaar Rifkin!«
Das hatte gesessen. Da hatte ich den ersten Namen gehört, der auf der Liste stand.
Es fiel mir schwer, die Frage mit ruhiger Stimme zu stellen. »Sie sind tatsächlich nur Zeugen, oder hast du dich verhört?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Aber warum wurden die Morde begangen?«
»Hast du Zeit?«
»Los, raus mit der Sprache!«
In den nächsten Minuten erfuhr ich, was sich in der Imbissbude der Rifkins abgespielt hatte. Vielleicht konnte man sogar davon ausgehen, dass ihnen der Henker das Leben gerettet hatte, denn das Ehepaar war bedroht worden, und zwar von Erpressern, die bei Geschäftsleuten in dieser Gegend absahnten.
Nachdem ich die Geschichte gehört hatte, musste ich zunächst mal schlucken. Suko wartete auf meinen Kommentar, der auch kam.
»Gut, dann hat er ein Drittel seiner Mission erfüllt.«
»Und zwei Leichen hinterlassen. Das bedeutet, John, dass wir nun nach einem Mörder jagen und nicht unbedingt nach einer Gestalt, die nur ihr Gewissen erleichtern will.«
»Was sie auf ihre Art und Weise getan hat.«
»Das ist schon richtig, aber der Henker schafft jedes Risiko aus dem Weg, das sich ihm entgegenstellt. Mord bleibt eben Mord. Daran können auch wir nichts ändern.«
»Das ist mir schon klar. Mal eine andere Frage: Von wo aus rufst du eigentlich an?«
»Ich bin noch in dieser Imbissbude.«
»Wer hat dich alarmiert?«
»Die Morde waren so außergewöhnlich, dass man uns sofort
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