146 - Winterkrieger
das Amt. Paddy, der sie allein in der Obhut der Wache gelassen hatte, kreuzte wieder auf und führte sie in ihr neues Büro. An den Wänden hingen die Porträts ihrer Vorgänger. Es waren erschreckend viele.
Paddy aktivierte Ayris’ Rechner und fuhr Präsident Crows Terminkalender hoch.
»Damit Sie wissen, wann Sie ihm auf die Pelle rücken müssen und aus welchem Grund.«
Ayris beugte sich vor. Der Kalender war für heute voll.
Doch da… Es waren dreißig Minuten für ihre Vorstellung eingeplant. Ayris schaute auf die Wanduhr. Herrje, in zehn Minuten! Sie schaute sich panisch um. »Wo kann man sich hier…?«
»Auftakeln? Kommen Sie mit.« Paddy führte sie in ein mit allen Schikanen versehenes Bad und wartete artig, bis sie wieder heraus kam. »Viel Glück«, sagte er, führte sie zur Tür ins Allerheiligste und öffnete sie.
»Captain Grover, Sir!«
Ayris wartete, bis die Tür hinter ihr zugefallen war, dann salutierte sie. »Captain Grover meldet sich zum Dienst, Sir. Mit sofortiger Wirkung abkommandiert zur…«
»Ersparen Sie sich und mir den Bürokratenkram, Grover; kommen Sie her.« Präsident Crow winkte ihr zu. Er saß am Ende eines riesigen Büros hinter einem aufgeräumten Schreibtisch.
Sein Haar war so grau wie seine adrett gebügelte Generals-Uniform, die er noch immer trug, denn offiziell war er nie von seinem ersten Amt zurückgetreten, als er das des Präsidenten annahm.
Seihe Augen waren wach, sein Blick wirkte ein wenig gepeinigt, als litte er an etwas, von dem die Öffentlichkeit nichts wissen sollte.
Ayris dachte sofort an seine Tochter. Die Expedition, die Lynne zum Kratersee geführt hatte, galt als verschollen. Es war zu befürchten, dass sie ins Messer der fremden Invasoren gelaufen war. Ob Lynne noch lebte, war nicht bekannt – zumindest nicht dem »gemeinen Volk«. Es wurde aber gemunkelt, die Allianz der europäischen Länder hätte in Erfahrung gebracht, dass Crows Tochter von den Daa’muren gefangen gehalten wurde.
Ayris versuchte sich auszumalen, was der Präsident bei der Vorstellung empfinden musste, dass er zu den Führern der Allianz gegen die Invasoren gehörte, während seine Tochter dem Feind ausgeliefert war und vielleicht sogar unter Drogen oder Gehirnwäsche kooperierte.
»Freut mich, Sie kennen zu lernen, Captain Grover.« Crow stand auf, umrundete seinen Schreibtisch und schüttelte ihr die Hand. Ayris fühlte sich geehrt.
»Ich habe mir Ihre Personendatei angeschaut«, sagte Crow, »und gesehen, dass Sie sich bei den Winterkriegern das eine oder andere Verdienst erworben haben…«
»Danke, Sir. Doch bei Lichte besehen waren meine Erfolge an der Oberwelt doch eher bescheiden…«
»Immerhin haben Sie dem ›Irrsinnigen Moyk‹ das Handwerk gelegt, dessen Bänkelsänger zu einer Ernst zu nehmenden Bedrohung für den Waashtoner Frieden wurden…«
»Er ist mir in den Driller gelaufen, Sir – auf der Flucht vor einem Truveer, der seine zersetzenden Pläne durchschaut hatte.«
»Nun, wie dem auch sei…« Crow nahm wieder hinter seinen Schreibtisch Platz. Er öffnete eine Schublade und entnahm ihr eine Zigarre, die nur vom Schwarzmarkt stammen konnte.
»Wollen Sie auch eine, Grover?«
Ayris schüttelte den Kopf. Crow zuckte die Achseln, klemmte sich das Ding zwischen die Zähne, steckte es an und paffte eine graublaue, Wolke an die Decke. »Sie können es natürlich nicht wissen«, sagte er, »aber als junger Bursche war auch ich in der Einheit, für die Sie bis gestern tätig waren…«
Ein verträumter Ausdruck trat in seine Augen, als erinnere er sich mit Wehmut an diese Zeit.
Trauerte er ihr etwa hinterher? Wie alt mochte er sein? Ende fünfzig? Ayris kniff die Augen zusammen. Trotz der grauen Uniform, der Glatze und der grauen Augen wirkte Crow eigenartigerweise nicht farblos auf sie. Im Gegenteil: Er war von einer geheimnisvollen Aura umgeben.
Sie dachte an das, was Paddy ihr erzählt hatte.
Hatte der Präsident sie vielleicht schon längere Zeit im Auge? Vielleicht glaubte er, er könne seine neue Adjutantin besser kennen lernen, wenn er sie ständig vor Augen hatte – und nicht nur als Bildschirmschoner?
Wer war überhaupt auf die Idee gekommen, sie könne eine gute Adjutantin abgeben? O’Hara? Major Fanthorpe? (Als letzte Amtshandlung, um sie loszuwerden?) Hatte Crow sie irgendwann irgendwo gesehen? War ihm ihre Ähnlichkeit mit Rosalie aufgefallen? – Ja, klar, sie erinnerte ihn an ihre Mutter!
Das musste der Grund sein!
»Tja…«
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