146 - Winterkrieger
Crow schüttelte den Kopf und räusperte sich. »Es war eine sehr schlimme, aber auch abenteuerliche Zeit. Damals hat man Dinge getan, die man heute vielleicht nicht mehr tun würde…« Sein Blick fiel auf Ayris. »Ich hoffe, Sie halten es nicht für würdelos, Captain, dass Sie jetzt keine Staatsfeinde mehr ausschalten, sondern nur noch als eine Art… Butler tätig sind.«
»Keineswegs, Sir.« Ayris lächelte. Nicht mehr frieren müssen. Sich nicht mehr mit Gesindel herumschlagen müssen.
Geregelte Dienstzeiten. Elende Spießerin.
»Fein.« Crow drehte sich halb um, öffnete eine Glasvitrine, entnahm ihr eine Flasche und zwei Gläser und schenkte sich und Ayris ein. »Darauf heben wir einen!«
»Jawoll, Sir!«
Crow prostete ihr zu. Sie kippten ein Feuerwasser, das Ayris’ Blut sofort schneller kreisen ließ. Gleich darauf stellte der Präsident ihr am Bildschirm das Team vor, das unter Paddys Leitung die Vorzimmer bevölkerte, und machte sie mit ihrem Aufgabenbereich vertraut. Ayris merkte schnell, dass sie wirklich nur ein besserer Butler war: Sie musste Crows Terminkalender führen, hereinplatzen, sobald ein Besucher ihn zu Tode zu quatschen begann, und ihn zu Verabredungen begleiten, die außerhalb stattfanden. Außerdem war sie für die Protokollierung seiner Gespräche zuständig. Und sie diente Crow als Kurier und hatte die Aufsicht über seine Leibgarde, ein halbes Dutzend breit gebauter Kerle, die ihn schon körperlich gut verdecken konnten.
»Und jetzt«, sagte Crow, als ihr Termin abgelaufen war, »machen Sie Feierabend, Captain. – Ich schlage vor, Sie lassen sich von dem jungen Mr. O’Hara das Quartier zeigen, in dem Sie nächtigen können, falls die Lage es erfordert.« Ayris stand auf und salutierte. »Danke, Sir.«
Crow warf einen Blick auf seinen Monitor. »Wir sehen uns morgen zur täglichen Zehn-Uhr-Sitzung. Abends haben wir einen Termin an der Oberfläche.« Er hüstelte. »In einer… wenig vornehmen Gegend, wenn ich so sagen darf. Wir treten inkognito auf. Sie müssen sich maskieren.«
»Verstanden, Sir!« So ganz war die Zeit der Oberwelt-Gänge also nicht vorüber. Aber es war immerhin schon ein Unterschied, als Teil einer Einheit im Dreck zu liegen oder an der Seite eines mächtigen Mannes durch die Gassen der Hauptstadt zu gehen.
Sergeant Paddy strahlte, als sie aus dem Büro des Präsidenten kam. »Na, wie war’s? Er hat Ihnen doch nicht den Kopf abgebissen?«
Ayris grinste. »Nein, nein.« Sie klopfte Paddy auf die Schulter. »Zeigen Sie mir jetzt bitte den Rest des Ladens – und bringen Sie mich dann zu Bett.«
Paddy riss die Augen auf. »A-aber…«
»Ich bin müde«, sagte Ayris schnell, da ihr klar wurde, dass er sie vielleicht missverstanden hatte.
»Ohne Abendessen?«
»Das wäre allerdings noch zu überlegen.«
Paddy führte sie herum, machte sie mit dem technischen und bürokratischen Stab bekannt und zeigte ihr Fotos von Personen, mit denen Crow in Kontakt stand. Ayris prägte sich zahlreiche Namen und Gesichter ein. Die Wichtigsten waren ein gewisser Commander Matthew Drax (Deckname: Maddrax) und ein hünenhafter Bursche namens Black. Black hatte früher in Washington die berüchtigte Terrororganisation
»Running Men« geleitet und spielte nun eine nicht weniger undurchsichtige Rolle im Machtzentrum des früheren Klassenfeindes, der Russischen Föderation. Dass er sich die Macht in Moskau mit einem vampirischen Hexerorden teilte, schürte nicht gerade das Vertrauen in ihn.
»Mir schwirrt der Kopf«, sagte Ayris, als sie am Abend mit Paddy bei Schinken á la Parys Hylton in der Sektorenkantine saß. »Ich hoffe, ich bringe die ganzen Leute nicht durcheinander.« Später ließ sie sich von ihm in ihr Einsatzquartier bringen. Aufgrund der vielen Eindrücke, die heute auf sie eingestürmt waren, bekam sie aber kein Auge zu.
Ayris drehte sich von links nach rechts. Dann auf den Bauch und den Rücken. Dann stand sie auf und trank ein Glas Wasser.
Schließlich legte sie sich wieder hin… und drehte sich von rechts nach links.
In ihrem Kopf war ein großes Durcheinander. Sie dachte an Jimmy Flannagans Tod, und eine große Trauer überfiel sie. Er hatte ihr etwas über ihre Eltern und Arthur Crow erzählen wollen. Sie dachte an sein Diarium. An die unerwartete Versetzung. Die Begegnung mit einem Mann, der ihre Eltern gekannt hatte, doch mit keinem Wort auf sie eingegangen war.
Sie dachte auch über das nach, was sie nach der Begegnung mit Präsident Crow von
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