1460 - Lockruf des Trolls
mit einem wahnsinnigen Hass. Ihre Fluchtburg war die von Mallmann geschaffene Vampirwelt, um die sich momentan beide kümmerten. Sie wollten sie so wohnlich wie möglich gestalten, damit sie sich dort wohl fühlen konnten.
Das Schwerste lag noch vor mir. Wenn es Justine bei ihren ungewöhnlichen Kräften nicht geschafft hatte, sich von allein zu befreien, dann würde es auch bei mir Probleme geben, denn ein Herkules war ich bestimmt nicht.
Ich lag auf dem Bauch und hatte meine Füße so gedreht, dass ich im feuchten Boden etwas Halt fand. An Timmy oder an die Trolle dachte ich in diesen Augenblicken nicht. Es gab nur die volle Konzentration für Justines Rettung.
Sie hielt den Riemen fest umklammert. Beide Hände nahm sie dazu. Ich hatte meine Finger um den Gewehrkolben geklammert und wünschte mir, dass er mir beim Ziehen nicht durch die Hände rutschte.
»Ich muss langsam ziehen«, sagte ich.
»Gut.«
Das hatte ich nicht nur so dahingesagt, es entsprach auch meinen Erfahrungen, und so versuchte ich es mit dem ersten vorsichtigen Zug. Ich musste zusehen, dass sich die Blutsaugerin allmählich aus dem saugenden Sumpf löste und dabei in eine waagerechte Lage geriet. Wenn sie erst einmal lag, war das schon die halbe Miete.
Erst dann konnte ich kräftiger ziehen.
Es war verdammt schwer. Ich tat mein Bestes und setzte dabei alle Kraft ein, die ich aufbringen konnte. Ich spürte das Ziehen in meinen Armen und musste bald erkennen, dass die Bauchlage nicht ideal war. Deshalb wechselte ich in eine kniende Haltung.
Ich spannte die Muskeln an. Ich zog. Ich drückte den Körper dabei nach hinten, weil ich nicht in Gefahr laufen wollte, nach vorn zu kippen und ebenfalls in das Loch zu fallen.
Ich wusste, dass mein Gesicht vor Anstrengung gerötet war. Ganz im Gegensatz zu dem Justines, das nach wie vor die typische Vampirblässe zeigte.
Es war auch kein Keuchen oder Stöhnen von ihr zu hören. Nur ich verursachte diese Geräusche. Justine brauchte es nicht. Vampire sind eben nicht mit Menschen zu vergleichen.
Loslassen würde sie den Riemen nicht. Eher würde er reißen, aber er war bestimmt aus einem festen Leder.
Der erste Ruck!
Nicht bei mir, sondern bei ihr. Und der wiederum wurde für mich zu einem ersten Hoffnungsschimmer. Ich rechnete damit, dass sich Justines Füße aus der weichen Masse gelöst hatten.
»Zieh weiter, Sinclair!«
»Keine Sorge!« presste ich hervor. »Aber es wird noch dauern.«
»Rede nicht, mach weiter!«
Sie war nicht eben nett zu ihrem Lebensretter. Wäre es so gewesen, ich hätte mich auch gewundert.
Und so kämpfte ich weiter. Es ging immer nur Millimeter für Millimeter voran, das wusste ich aus Erfahrung. Ich hatte dabei das Gefühl, eine Tonnenlast bewegen zu müssen.
Es gab an meinem Körper wohl keine Pore mehr, die nicht Schweiß abgesondert hätte. Ich konzentrierte mich ausschließlich darauf, den Kolben festzuhalten.
Immer noch hockte ich auf den Knien und drückte meinen Oberkörper zurück. Langsam holte ich Justine näher an mich heran.
»Sinclair, du bist gut!«
»Freu dich nicht zu früh, Justine!«
»Dann mach weiter!«
Das tat ich auch. Aber es war so verflucht mühsam. Der Sumpf war zäh wie Leim. Er wollte sein Opfer einfach nicht hergeben, und ich musste mit aller Macht dagegen ankämpfen.
Nicht nur in meinen Armen spürte ich den Druck. Auch meine Schultern waren in Mitleidenschaft gezogen worden. Manchmal hatte ich das Gefühl, als würden meine Sehnen der Reihe nach reißen.
Mein Kreislauf arbeitete auf Hochtouren. Manchmal flimmerte es vor meinen Augen.
Aber Justine rückte weiter auf den Tümpelrand zu, auch wenn es nur Zentimeter waren.
Ich hielt inzwischen die Augen geschlossen und konzentrierte mich nur auf meinen Griff am Gewehr. Durch nichts wollte ich mich ablenken lassen und wurde trotzdem abgelenkt, denn ich hörte ein ziemlich laut gesprochenes Wort…
»Jetzt!«
Ich riss die Augen auf.
Justine Cavallo war fast frei. Ein Teil ihres Oberkörpers lag bereits auf der normalen Erde. Sie hielt noch immer den Gewehrriemen fest und ich hatte den Kolben gepackt, wobei ich mich weit nach hinten lehnte und noch mal alle Kraft aus meinen Armen und Schultern holte.
Dann hatte ich es wirklich geschafft. Justine Cavallo war in der Lage, ihre Beine zu bewegen. Sie winkelte sie an, drückte sie zurück, konnte sich mit den Knien abstemmen und brauchte meine Hilfe nicht mehr. Deshalb ließ ich auch den Kolben los.
Das Gewehr kippte zu Boden –
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