1460 - Lockruf des Trolls
durch den Wald!
Der Knall bannte mich für einen Moment auf der Stelle. Ich war auf dem richtigen Weg, und da ich mich konzentriert hatte, wusste ich auch, aus welcher Richtung der Schuss gefallen war.
Nicht eine Sekunde länger blieb ich stehen. Ich rannte an der alten Eiche vorbei, glitt dann in einen breiten Graben hinein, wuchtete mich an der anderen Seite wieder hoch und lief so schnell wie möglich über einen Boden hinweg, der immer mehr nachgab. Ein Zeichen, dass ich mich in einem feuchten Gebiet bewegte, was sehr gefährlich werden konnte. Wieder rief ich den Namen der Vampirin.
Diesmal antwortete sie nicht durch einen Gewehrschuss. Mir wehte ein Schrei entgegen.
Justine und schreien?
Das ließ bei mir die Alarmglocken klingeln. Mir wurde dabei heiß und kalt zugleich, denn dieser Ruf hatte sich angehört, als steckte Justine in einer tödlichen Klemme.
Ich rannte nicht mehr. Ich ging jetzt mit langen Schritten, soweit es das Gelände zuließ. Dabei entdeckte ich einen ersten Hinweis auf mein Ziel, denn schräg vor mir standen die Bäume nicht mehr so dicht beisammen. Es schien, als hätten sie Platz für etwas Anderes geschaffen, das dieses Gebiet beherrschte.
Wieder startete ich, suchte mir die größte Lücke aus – und hatte plötzlich freie Sicht.
Was ich da sah, ließ meinen Atem stocken, denn Justine Cavallo steckte in einer Todesfalle…
***
Bis zum Hals saß die Vampirin in einem Sumpfloch, aus dem sie aus eigener Kraft nicht mehr freikam.
Es war für sie grauenhaft. Ich sah ihr bleiches Gesicht, das auf der Oberfläche des Tümpels zu schwimmen schien. Die Augen hatte sie ebenso weit aufgerissen wie den Mund. Aber ich entdeckte auch den toten Troll am Tümpelrand.
»Ich denke, es wird Zeit, Partner«, krächzte Justine.
»Das sehe ich.«
»Kannst du es schaffen, mich rauszuziehen?«
»Weiß ich noch nicht.« Ich bemühte mich, cool zu tun, als ich näher an das Sumpfloch herantrat. Dabei merkte ich schon, wie weich der Boden war. Aber ich sah auch, dass ich nicht sehr weit von Justine entfernt war. Jedoch zu weit, um sie zu erreichen, wenn ich mich auf den Boden legte und meinen Arm ausstreckte.
Aber sie hatte das Gewehr mitgenommen, und das konnte unter Umständen unser Problem lösen.
»Wirf das Gewehr her!«
»Warum?«
»Mach schon!«
Sie sah, dass es mir ernst war, und versuchte trotzdem noch zu scherzen, bevor sie mir die Waffe zuwarf.
»Du weißt doch, dass mich keine normalen Kugeln umbringen, wenn du mich jetzt killen willst.«
»Das hätte ich dem Sumpf überlassen können.«
»Danke, Partner.«
Ich hatte das Gewehr aufgefangen und kniete mich jetzt hin.
Justine wusste, was ich vorhatte. Sie bemühte sich, ihre beiden Arme über der Wasserfläche zu halten und dabei nach vorn zu strecken.
Ich lag schon auf dem Bauch und robbte so nahe es ging an den Rand des Sumpflochs. Dann streckte ich ihr das Gewehr entgegen, dessen Kolben ich mit beiden Händen fest umklammerte.
Es reichte.
Justine konnte den Lauf erreichen, aber besser war der Lederriemen, und das sagte ich ihr.
Sie schob sich so weit wie es möglich war nach vorn. Ihre Finger griffen beim ersten Versuch ins Leere, aber beim Nachgreifen schaffte sie es, den Riemen zu packen.
Ihr Gesicht berührte jetzt mit dem Kinn und dem Mund die Oberfläche des Wassers.
»Alles klar?«
»Mach schon, Geisterjäger!«
Hatte ich da so etwas wie ein Gefühl aus der Stimme herausgehört? Ich wusste es nicht, aber ich dachte daran, dass es auch für eine Justine Cavallo Grenzen gab. Okay, wenn der Sumpf sie verschlang, dann würde sie nicht ersticken wie normale Menschen, aber sie wäre verschwunden gewesen und darauf angewiesen, dass der Sumpf sie irgend wann wieder freigab. Das konnte dauern, wenn überhaupt.
Ich hätte sie wegsacken lassen können, dann wäre ich die Blutsaugerin, die mir bestimmt nicht nur Freude bereitet hatte, für immer los gewesen. So manches Mal waren wir hart auf hart aneinander geraten, aber wir hatten uns auch gegenseitig das Leben gerettet, und das durfte ich nicht vergessen. Ohne Justine würde ich nicht mehr leben und sie würde ohne mich nicht mehr existieren.
Hinzu kam noch etwas, das dafür sprach, Justine aus diesem Sumpfloch zu holen. Wir hatten gemeinsame Todfeinde. Da standen uns Dracula II und der Hypnotiseur Saladin gegenüber. Beiden war es immer wieder gelungen, uns zu entkommen, und beide trachteten danach, uns auszuschalten. Vernichten, ausradieren, denn sie verfolgten uns
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