1460 - Lockruf des Trolls
das nötig.«
»Gut, ich vertraue dir.«
»Danke. Und du hast anscheinend bemerkt, dass ich gekommen bin. Woher wusstest du das? Wer gab dir Bescheid?«
»Du stehst bereits am Tor. Es war offen, um die Trolle durchzulassen.«
»Das hast du gesehen?« flüsterte ich erregt. »Und auch das Kind?«
Ich war plötzlich nervös geworden.
Ryan nickte. »Sie haben es mit in unsere Welt gebracht und wollen es in ein Versteck an der Grenze bringen. In diese Grauzone, von wo aus es nie zurückkehrt.«
»Sind sie denn schon dort?«
»Nein, John, noch nicht.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Zudem kannte ich den Roten Ryan gut genug, um zu wissen, dass er kein Lügner war. Seine Worte allerdings hatten bei mir für eine innere Erregung gesorgt, die ich nur schwer unter Kontrolle halten konnte.
»Wo genau kann ich Timmy finden?«
Der Rote Ryan lächelte. »Du brauchst dir noch keine Sorgen zu machen, John. Meine Freunde und ich haben für einen Sperrgürtel gesorgt, den die Trolle noch nicht durchbrechen konnten. Aber sie werden von der anderen Seite Hilfe bekommen. Dort brauchen sie den Jungen. Sein Blut und seine Seele.«
»Es eilt also?«
»Ich denke schon.«
Mit der rechten Hand deutete ich auf den Tümpel, der keiner mehr war. Er hatte sich in einen Einstieg verwandelt, der uns in eine andere Dimension führen würde.
Aibon wartete…
Es würde auch mich Überwindung kosten, in das ehemalige Sumpfloch zu steigen. Für Ryan war es normal, aber nicht für mich und auch nicht für meine Begleiterin.
Justine zögerte. Sie konnte mit der Gestalt aus Aibon nichts anfangen. Und sie schüttelte den Kopf, als sie sagte: »Du willst ihm wirklich vertrauen, Geisterjäger?«
»Ja, ich weiß, was ich tue.«
»Bitte.«
»Du brauchst nicht dabei zu sein.«
Den Satz hatte ich wie nebenbei ausgesprochen, und ich wunderte mich darüber, dass Justine mir tatsächlich zustimmte.
»Ab jetzt ist es deine Sache. Ich habe mich bereits in diesem Loch befunden.«
»Verstehe.«
»Aber ich werde hier warten, und ich bin gespannt, wie und ob ich dich wiedersehe.«
Ich gab ihr keine Antwort. Ich war froh, dass Justine mich allein gehen ließ. Oder zusammen mit meinem Freund Ryan. Sie in Aibon, das war nichts, zumindest nicht auf der Seite, die man als kleines Paradies bezeichnen konnte, auch wenn es nicht fehlerfrei war.
Die Aibon-Tore gab es an zahlreichen Orten auf der Welt. Und ich hatte sogar den Eindruck, dass sie in den vergangenen Jahren mehr geworden waren. Natürlich konnte ich mich auch irren. Der Kontakt zu Aibon hatte sich in den letzten Monaten leicht verstärkt, und auf den Roten Ryan hatte ich immer setzen können.
Wir standen nebeneinander und schauten auf die gläserne Oberfläche. Es war kaum zu fassen, dass ich dort kein Wasser mehr sah und auch nicht die zähe Brühe. Sie war verschwunden, als hätte man sie einfach weggesaugt.
»Fertig?« raunte mein Begleiter.
»Ja.«
»Dann los!«
Mein Herz klopfte schon schneller, als ich den Schritt nach vorn ging. Das Gefühl, ins Leere zu treten und dann weg in eine bodenlose Tiefe zu sacken, wollte einfach nicht weichen.
Den leichten Stoß, den Ryan mir mitgab, spürte ich kaum. Plötzlich war nichts mehr unter meinen Füßen und ich fiel in die Tiefe…
***
Der Magen wurde mir in die Höhe gedrückt. Ich hatte Probleme, Luft zu bekommen. Ich war nicht weggetreten. Um mich herum gab es ein Rauschen und einen wilden Farbenwirbel.
Mein Gefühl war noch vorhanden. Ich bemerkte auch die äußerliche Veränderung, eine andere Luft, ein anderes Klima, und dann gab es wieder einen festen Halt.
Durchatmen, die neue Umgebung genießen. Sie war so anders.
Warm und auch klar. Eine Luft, die von Düften und Aromen durchzogen wurde und beim Einatmen ein Wohlbefinden hinterließ.
Es war keine Falle, wie die Cavallo vermutet hatte, aber die Vampirin war jetzt nicht mehr wichtig. Ich dachte an Timmy und daran, was ich seiner Mutter versprochen hatte.
Ich wollte den Roten Ryan nach dem Jungen fragen, aber der hatte etwas anderes im Sinn. Er nickte mir zu, und ich sah in seinem Gesicht einen besorgten Ausdruck.
»Diese Person tut dir nicht gut. Sie hat eine schlimme Ausstrahlung, das konnte ich sofort spüren.«
»Ich weiß.«
»Und du tust nichts dagegen? Wenn ich es mir genau überlege, ist sie eine Feindin. Ihr seid Gegensätze. Ihr müsstet euch bekämpfen…«
»Ja, das stimmt wohl. Ich kann deine Besorgnis auch gut verstehen, doch manchmal ist das Leben so
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