1461 - Katakomben des Wahnsinns
der Reserve zu locken.
Thamm verengte seine Augen, als er mich anschaute. »Meinen Sie das wirklich, Mr. Sinclair?«
»Ja, warum nicht?«
»Nein, das glaube ich nicht. Ich habe genug Berufserfahrung. Ich habe viele Menschen interviewt. Ich kann so manche Reaktion vorhersagen, aber nicht bei dem Schreinermeister. Der hat anders reagiert.«
»Wie denn?«
»Unecht.«
»Und weiter?«
»Auch ängstlich.« Wesley nickte. »Ja, auch ängstlich.« Er deutete auf seine Augen. »Darin habe ich das Flackern gesehen. Dieses seltsame Zucken. Man muss schon sehr genau hinschauen, um es mitzubekommen. Es ist auch eine Sache der Erfahrung. Aber ich kann sagen, dass dieser Mensch nicht normal reagiert hat. Dabei glaube ich nicht, dass er unbedingt etwas mit der Sache zu tun hat, mit den Verschwundenen, meine ich. Aber indirekt könnte er daran beteiligt sein.«
»Das sehe ich auch so«, sagte ich und erntete von Bill einen leicht überraschten Blick.
»Wieso?«
»Ich erinnere mich an das Gespräch mit Dirk Reuter. Er hat in der Schreinerei gearbeitet und manches mitbekommen. Unter anderem sprach er von einer bleichen Gestalt, die seinen Chef ab und zu besucht hat. Es war ihm wohl gelungen, das eine oder andere Gespräch zu belauschen, und das Thema war nicht eben normal. Es ging da um Tote, sogar der Begriff Zombie ist gefallen. Aber auch ein Wort wie Katakomben. Ich habe wirklich gut zugehört, und ich denke, dass wir bei diesem Schreiner wohl auf der richtigen Fährte sind. Außerdem halte ich Reuter nicht für einen Lügner und Aufschneider.«
Wesley Thamm sagte: »Bill, dein Freund ist gut.«
Ich ging nicht darauf ein. Dafür wandte ich mich an den dunkelhäutigen Reporter. »Was ist mit Ihnen, Wesley? Haben Sie noch nie etwas über diesen Bleichen gehört?«
Thamm runzelte die Stirn. »Na ja, gehört habe ich schon von ihm.«
»Und?«
»Er taucht immer mal wieder auf. Hier und nicht in Luton, wo ich sitze. Deshalb bin ich nicht so nah am Ball. Aber erwähnt wurde er.«
»Wir müssen uns an den Schreiner halten«, sagte Bill. »Nur er kann uns was über den Bleichen sagen.«
»Siehst du ihn als dessen Helfer an?« fragte Thamm.
»Ja, in diese Richtung denke ich tatsächlich.«
»Und was ist mit dem anderen Begriff?« fragte ich, nachdem ich mein Glas leer getrunken hatte.
»Welchen meinst du, John?«
»Das Wort Katakomben. Ich erinnere mich genau daran, dass Dirk Reuter es mir gegenüber erwähnt hat. Leider weiß ich nicht, wie er das genau gemeint hat. Ich bin auch nicht weiter darauf eingegangen, aber Katakomben sind Höhlen für mich. Orte, die man als normaler Mensch nicht gern betritt.«
Bill pfiff durch die Zähne, und sein Kollege nickte.
Ich nahm das Wort wieder auf. Dabei wandte ich mich an Wesley Thamm. »Haben Sie etwas darüber gehört? Gibt es hier in der Gegend ein Versteck, das diesen Namen verdient hätte?«
Wesley dachte nach. »Das ist schwer zu sagen. Ich kenne mich hier in den Landgebieten nicht so aus. Mein Revier ist Luton. Aber möglich, dass es so etwas gibt. Da müsste ich mich erkundigen.«
»Wäre nicht schlecht«, sagte auch Bill und schaute mich an. »Sollen wir uns um den Schreiner Alan Duke kümmern?«
»Das ist der erste Schritt.«
Wesley drückte sich auf dem Stuhl zurück und schob seine Hände vor. »Aber ohne mich, Freunde. Der Mann kennt mich. Ich glaube nicht, dass er sehr gesprächig sein wird, wenn er mich sieht. Diese Menschen hier denken anders.«
»Was hast du denn dann vor?«
Thamm lächelte schief. »Ich habe den Bleichen nicht vergessen. Es gibt ihn ja, das weiß ich. Sonst hätte Dirk Reuter nichts gesagt. Und deshalb werde ich mal die Augen und die Ohren offen halten, um zu erfahren, ob es da konkretere Aussagen gibt. Ich denke, dass der Fall gelöst ist, wenn man mehr über den Bleichen erfährt.«
Ich stimmte dem Vorschlag zu, denn ich war froh, dass Wesley Thamm nicht mit uns kam. Wenn drei Leute auftauchten und Fragen stellten, konnte der Informant leicht verängstigt werden.
Bill tippte Wesley gegen die Schulter. »Aber du informierst uns sofort, wenn du etwas herausgefunden hast.«
»Und ob.«
»Dann bis später.« Bill erhob sich, weil er zahlen wollte, aber Thamm wollte die Rechnung übernehmen.
»Ich revanchiere mich, wenn der Fall vorbei ist.«
»Ja, tu das.«
Wir gingen. Die dralle Frau mit den schwarzen Haaren bedankte sich noch für unseren Besuch, und als ich auf Bills Porsche zuschritt, da hatte ich den Eindruck, auf der richtigen
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