147 - Panik in Porto
kleine Doppeltreppe und auf den gemauerten Eingang aus wuchtigen Blöcken. Roquette bemerkte, wie ramponiert und altersverwittert der Turmstumpf war; einst schien es ein prächtiges, fast schlankes Bauwerk gewesen zu sein.
„Die Polizei, Monsieur", wandte sie sich an einen Zivilisten, der wichtig und entschlossen wirkte, „bewundert auch die Aussicht? Was ist los?"
Der Mann, einen Kopf kleiner als sie, machte ein gefaßtes Gesicht.
„Wir haben die Vermißten gefunden. Vielleicht, Madame, haben Sie die Nachrichten gehört?"
„Tot?" fragte sie voll echter Anteilnahme. Er nickte und deutete auf das Sanitätsfahrzeug.
„Tot, und von einem Wahnsinnigen furchtbar zugerichtet. Hier lagen ihre Rucksäcke. Wir fanden drinnen nur eine Kamera. Zuerst der Lastwagenfahrer, jetzt drei Studenten. Ich kann Ihnen nicht empfehlen, hier zu warten."
„Gibt es einen Verdacht? Wer kann solche Wahnsinnstaten begehen?"
„Ein Psychopath, zweifellos", lautete die knappe, unsichere Antwort.
Wie recht du hast, dachte Roquette. Sie nickte ihm zu und ging einmal rund um den Turm. Niemand hinderte sie daran. Ihr Plan nahm konkretere Umrisse an. Die Dämonen lebten also noch hier, unsichtbar am Tag vermutlich, aktiv in den Nächten oder im Schutz der Dunkelheit, die innen im Turm herrschte. Sie blieb neben dem Eingang stehen und roch den schauerlichen Gestank, der aus der Öffnung wehte. So hatten die Verliese von Le Castellet gerochen, so war der Gestank aus dem Sarkophag des ägyptischen Dämons gewesen.
Sie tat, als sei sie eine neugierige Touristin und stieg die drei oder vier Steinstufen hinauf. Dann warf sie einen langen Blick hinein. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie zwei Gendarmen auf sie zurannten. Schnell machte sie, sich die Nase zuhaltend, einige Schritte ins Innere.
Sie hatte nichts anderes erwartet: der große, runde Raum mit den Resten eines wuchtigen Kamins war leer. Undefinierbare Dinge, die wie fauliges Stroh und schimmelige Felle aussahen, lagen am Boden. Vor drei kleinen, schießschartenkleinen Fenstern hingen rostige Eisenstangen mit einigen Lumpen daran. Das Dunkel wurde nur von dem breiten Viereck aus Sonnenlicht erhellt.
Sie ging rückwärts und fühlte den Arm eines Gendarmen.
„Bitte, Madame! Es ist verboten."
„Schon gut", sagte sie und lächelte den Beamten mit ihrem schönsten und naivsten Lächeln an. „Ich wollte bloß einen Blick hineinwerfen. Aber man kann ja nichts sehen."
„Seien Sie froh, daß Sie nicht gesehen haben, was wir sehen mußten."
Mit langen Schritten ging Roquette zurück zu ihrem Motorino. Während sie das Vehikel langsam herumdrehte und in Gang zu bringen versuchte, sah sie noch, wie die Gendarmen die Türen schlossen und die Eisentür mit einer Kette und einem Vorhängeschloß sicherten; fingerdicke Glieder und ebensolche Zuhaltungen.
Sie würde auch noch einen Bolzenschneider kaufen müssen, sagte sie sich und machte sich an den langen Rückweg, über Porto zur ARCA III.
Lutz Krüglstein bemerkte, als er die Preßluftflaschen miteinander verband und die Luftschläuche befestigte und testete, wie Roquette das Motorino am äußersten Ende des Pfades zwischen die Büsche schob. Am Rahmen war ein längliches Paket mit Klebeband befestigt. Sie nahm ihren Koffer in den Arm, lief zu den Felsen und rief zum Schiff: „Holt mich jemand? Kannst du kommen, Lutz?" Hans Stucker hob den Arm aus dem Wasser und sagte laut und deutlich:
„Ich bin schon naß. Bleib bei deinem Zeug, Lutz."
Er schwamm zum Gummiboot, kletterte hinein und ruderte hinüber zum Ufer. Roquette stieg vorsichtig ein und ließ sich an Bord des Bootes helfen. Sie sagte atemlos und mit betroffenem Gesichtsausdruck: „Die drei vermißten Studenten sind im Calanche-Turm von einem Verrückten zerfleischt worden. Ich komme gerade vom Turm."
Oliver ließ seine Kaffeetasse sinken und fragte, als habe er sich verhört:
„Das war also dein Ausflug. Es war noch nichts in den Nachrichten zu hören. Also ist doch etwas dran an dem Bösen, das sich im Turm manifestiert. Was hat…"
„Die Polizei hat den Turm versperrt und versiegelt", unterbrach Roquette. „Furchtbar! Sie hätten den Legenden glauben sollen, diese armen jungen Leute."
Oliver schob die Sonnenbrille in die Stirn, warf Roquette einen fragenden, prüfenden Blick zu und antwortete leise: „Die Studenten haben die Legenden wohl nicht gekannt. Ich kenne sie auch nicht, obwohl ich einen solchen Stapel Bücher über die Insel gelesen habe. Wer hat dir die
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